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ZWEITES KAPITEL.
eigens Angestellten zurufen ließ, um sich vor Selbstüberhebung
zu wahren, um immer ein Gegengift gegen das Gift der
Schmeichelei zur Hand zu haben. Spielend bewegt er sich auf
einer Tonleiter, die den harmlosesten Mutwillen und die vernichtendste
Satyre in sich befaßt; sein Material ist nicht bloß
das Wort und die Form, sondern selbst der Ton, das Licht, die
Farbe." Dieser oft wilde Humor zeigt sich auch in den Passionsspielen
,1 die zur Osterzeit in den Kirchen aufgeführt wurden.
Hier wechselten die ernstesten Szenen aus dem Sterben und
Leiden Christi mit komischen Intermezzos ab, in denen hauptsächlich
dem Teufel übel mitgespielt wurde. Auch Geistliche
traten als komische Figuren auf, und es fehlte nicht an derben
Ausfällen auf die Gebrechen und Sünden des geistlichen Standes.
Die, wenn ich mich nicht irre, zuerst von Findel ausgesprochen
Vermutung, daß die Bauhütte für alle freier Denkenden und
vom kirchlichen Fanatismus Verfolgten eine sichere Zufluchtsstätte
gewesen wäre, ist ohne jede Begründung.2 Diese Idee
ist dann von L. Keller aufgegriffen und in eigentümlicher Weise
fortgeführt worden.3
Während des ganzen Mittelalters gab es eine große Anzahl
von Sekten, die nichts von den Satzungen der katholischen
Kirche wissen wollten und sich an die Lehren der h. Schrift
hielten. Diese altevangelischen Brüder oder Taufgesinnten, die
unter den verschiedensten Namen als Waldenser, Patarener etc.
auftauchen, in Italien, Frankreich, am Ehein bis weit nach
Osterreich hinein, haben auf das Volk einen großen Einfluß
geübt. Namentlich im 14. Jahrhundert, zur Zeit der Kämpfe
des Kaiser Ludwigs des Baiern mit der Römischen Kirche, wächst
ihr Einfluß, weil der Klerus durchaus in Sünden versunken war.
1 K. Hase, Das geistl. Schauspiel, Gesammelte "Werke VI p. 288 ff.
2 Waiden, Laienbruderschaften p. 4A f. erklärt sich dagegen. Die tollsten
Phantasien bietet L. Keller in dem Aufsatz: Zur Geschichte der Bauhütten
und Hüttengeheimnisse. Berlin 1898.
a L. Keller, Die Reformation und die älteren Reformparteien. Leipzig
1885.
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