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DRITTES KAPITEL.
und in seinem Wandel betätigt, der ist heilig und ein Christ,
auch wenn er den Namen Gottes niemals vernommen haben
sollte. Aus den innersten Tiefen ihres Herzens schöpften diese
Männer, die nichts von dem die Liebe ertötenden Konfessionalismus
wissen wollten, ihre Kraft. Die mystische Richtung
eines Franck, die naturphilosophische eines Paracelsus flössen sodann
in Valentin Weigel zusammen, der mit gerechtem Zorn
gegen die „Buchstabier" eiferte. „Auf ihrem Buchstaben bestehend
und um dieses Buchstabens willen, hassen sie einander,
verdammen einander, führen Kriege und verbrennen die Frommen
, welche das Unglück haben, in diesem Buchstaben nicht
ihr Heil finden zu können."1 Weigel wurde von der Orthodoxie
als Ketzer verfolgt, allein seine Wirksamkeit war dessenungeachtet
groß. Seine Lehre bildete Jakob Böhme (1575—1624),
ein ehrsamer Schuhmacher in Görlitz, weiter aus; mit ihm erreicht
die Deutsche Mystik ihren Abschluß. Aber seine Philosophie
führte vom Christentum ab, während der Gottesmann
Johann Arndt ein wahrer Christ sein wollte und der Führer
wurde für alle, die dem theologischen Unwesen abhold, ein einfältiges
lebendiges Christentum und eine edle Mystik suchten.
Er ist der Lehrer und Freund des Johann Valentin Andrese
(1586—1654) gewesen, der für seine Zeit von so großer Bedeutung
ist.2
Dieser interessante Mann war ein Enkel des berühmten
würtembergischen Theologen Jakob Andrew; er wurde am 17.
August 1586 in Herrenberg geboren und starb als Abt von
Adelberg am 27. Juni 1654 in Stuttgart. Er hatte sich eine
polyhistorische Gelehrsamkeit angeeignet und durch Reisen nach
Genf, Frankreich, Oberitalien sowie durch Umgang mit bedeutenden
Menschen aller Stände seine Bildung vertieft und seinen
Gesichtskreis erweitert. Er gehört zu jenen Freundschaftskünstlern
, denen es Bedürfnis ist, sich mit gleichgesinnten Seelen
1 Windelband 1. c. I} 100.
2 W. Hoßbach, J. V. Andrew und sein Zeitalter. Berlin 1819. J# Ph.
G-lökler, J. V. Andrese. Stuttgart 1886 (populär).
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