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VIERTES KAPITEL.
Die Moralphilosophie und das Toleranzprinzip
in England.
Am Anfange des 17. Jahrhunderts schien ein holder Frühling
aufblühen zu wollen. Alles trieb, sproßte und grünte. Da
fiel ein kalter Reif in diese Frühlingspracht, und ein Eiseshauch
tötete die zarten Pflanzen oder drängte das Wachstum zurück.
Und nachdem die Glaubenskämpfe in Deutschland und Frankreich
ausgetobt hatten, flammte in England noch einmal die
religiöse Leidenschaft mächtig auf, und der wilde Fanatismus
erstickte zeitweilig die wissenschaftlichen und humanitären Bestrebungen
. Die Puritaner gewannen den Sieg über das Königtum
und das Episkopalsystem; ein finsterer Geist hielt nun seinen
Einzug in Schottland und England, der keine weltliche Lust und
Ergötzlichkeit duldete, keine Künste und Wissenschaften förderte.
Alles Sinnen und Trachten sollte nur auf das Seelenheil und das
Jenseitige gerichtet sein. Wiederum wurden Tausende dem
Moloch des religiösen Wahnsinns geopfert.1
1660 kehrte König Karl IL auf den Thron seiner Väter
zurück unter dem Jubel des Volkes, und es erfolgte ein vollständiger
Umschlag der öffentlichen Meinung. Die früheren Verfolgten
und Besiegten wurden nun zu Verfolgern. Die zurückgedrängte
Weltlust brach jetzt mächtig hervor. Jedermann, vor
allem die Vornehmen, überließen sich einer ungezügelten Sinnen-
1 S. Buckle, History of the civilisation in England II. Taine, Histoire
de la littärature anglaise III. Livre III.
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