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"VIERTES KAPITEL.
und die Unwissenheit der Völker geschaffenen Teilungen doch
alle weisen Männer der nämlichen Religion angehörten. Da
tat eine Dame, die bisher mehr auf ihre Handarbeit als aul
die Unterhaltung zu achten schien, mit einiger Bekümmernis
die Frage, welche Religion das sei? worauf Lord Sbaftesbury
rasch zur Antwort gab: „Madame, das sagen die weisen Männer
niemals."1 Das war auch Toland's Ansicht. „Man lasse," sagte
er, Jedermann seine Gedanken frei aussprechen, ohne daß er
jemals gebrandmarkt oder gestraft wird, außer für gottlose Handlungen
, indem man spekulative Ansichten von jedem, der will,
billigen oder widerlegen läßt: dann seid ihr sicher, die ganze
Wahrheit zu hören; bis dahin aber nur sehr kümmerlich oder
dunkel, wenn überhaupt."
Seine esoterische Lehre hat er in dem 1720 (zu Kosmo-
polis) anonym erschienenen Dialog „Pantheistikon" dargelegt.
Er lehnt sich an die Philosophie Spinoza's an. Offenbarung und
Volksglauben haben keine Stätte mehr in der Welt. Sein Gott
ist das All, von dem Alles geboren wird und zu dem Alles zurückkehrt
. Sein Kultus gilt der Wahrheit, Freiheit und Gesundheit
, den drei höchsten Gütern des Weisen. Seine Heiligen
und Kirchenväter sind die erhabenen Geister und die vorzüglichsten
Schriftsteller aller Zeiten, besonders des klassischen
Altertums; aber auch diese bilden keine Autorität, welche den
freien Geist des Menschen fesseln dürfte. In der Sokratischen
Liturgie ruft der Vorsteher: „Schwöret auf keines Meisters
Worte." Und die Antwort schallte ihm aus der Gemeinde entgegen
: „Selbst nicht auf die Worte des Sokrates."2
Mit diesem Buche suchte Toland Propaganda für den Pantheismus
zu machen, indem er an den Spruch des Linos anknüpft
:
'E§ ztavzbq Sa tä Kavxa xai i§ fidvzcov rö stäv taxiv.
(Aus dem Gesamtall ist alles geflossen, wie aus Allem das
Gesamtall fließt.)
1 Lauge 1. c, I, 272.
2 Lange 1. c. I, 273.
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