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DIE MOMLPHILQSOPHIE UND DAS TOLERANZPRINZIP IN ENGLAND. 91
schlag. Wohl blühten nach der Wiederherstellung des Königtums
die Naturwissenschaften, wohl hob sich zusehends der
nationale Wohlstand, allein die Barbarei der Sitten war größer
als zur Zeit der Königin Elisabeth. Beim Franzosen wirkt die
Ausgelassenheit wie der Champagner; er prickelt und erregt
angenehme Gefühle; die dem Franzosen angeborene Mäßigkeit und
sein guter Geschmack halten ihn vor eigentlichen Kohheiten der
Betrunkenheit zurück. Der neblichte trübe Himmel in England,
die blutige Fleischnahrung, das dicke Bier und die starken alkoholisierten
Weine schaffen ein schweres Geblüt.1 Maß halten
ist schwerer in England als in Frankreich. Ein Trinkgelage
artet dort leicht in Völlerei aus,2 Ausgelassenheit in Rohheit und
Brutalität. Die moralische Zeitschrift The Spectator Nr. 3243
entwirft folgendes Bild der vornehmen jungen Leute in London
zur Zeit der Königin Anna: Die jungen Leute bilden eine Nachtgesellschaft
, die sich Mohock-Klub nennt. „ An ihrer Spitze steht
ein Kaiser der Mohocks, dessen Waffe in einem Türkischen Halbmond
besteht. Ihrem Namen entsprechend ist Unfug der anerkannte
Zweck ihrer Vereinigung, und auf dieser Grundlage
ruhen alle Gesetze und Verordnungen. Der edle Kitt ihrer
Genossenschaft ist der entsetzliche Wetteifer, ihren Mitmenschen
allen erdenklichen Schaden zuzufügen. Das ist zugleich die
einzige Eigenschaft, die man von den Mitgliedern verlangt. Um
ihre Grundsätze aber auch in voller Strenge und mit aller
Vollendung in Wirklichkeit umzusetzen, tragen sie Sorge, sich
vorher jedesmal in solchem Maße zu betrinken, daß es ihnen
unmöglich ist, auf irgend eine Regung des Verstandes oder der
Menschlichkeit zu hören. Dann unternehmen sie gemeinschaftlich
einen Streifzug und ergreifen alle, die das Unglück haben, gerade
durch die Straßen zu gehen, durch die sie ziehen. Manche
1 S. Taine, Histoire de la litt. angl. III, 10 ff.
2 Darum im Pantheistikon und in den „alten Pflichten" VI die Ermahnung
zur Mäßigkeit.
8 S. auch Taine 1. c. III p. 262 f. J. Cotter Morison, Mensehheitsdienst,
Deutsch von L. Lauenstein. Leipzig 1890 p. 142 ff.
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