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SIEBENTES KAPITEL.
zosen in die Logen führte. Der über die Freimaurerei geworfene
Schleier des Geheimnisses lockte unwiderstehlich; man witterte
in ihr die Kunst der Magie und der Kabbala; denn so aufgeklärt
und freigeistig die vornehme Gesellschaft auch war, so abergläubig
war sie und eine leichte Beute dreister Schwindler. Nicht
minder wirkte die Langeweile, unter der die Franzosen litten,
verführerisch. Nachdem man alle Laster gekostet hatte, wollte
man es zur Abwechslung mit der Tugend versuchen. Eine
rührselige Menschenliebe kam damals in Mode. Die Loge aber
pflegte insbesondere die Wohltätigkeit.
Aufzeichnungen aus dem zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts
belehren uns, wie viel man in der Gesellschaft von
dieser neuen Erscheinung sprach. Ein mächtiger Beweggrund,
die Loge gesellschaftsfähig zu machen, war der Umstand, daß
man sich für England zu interessieren begann, seitdem Montesquieu
seinen Landsleuten die englischen Gesellschafts- und Verfassungsverhältnisse
nahegebracht und Voltaire in seinen geistsprühenden
Schilderungen die Tüchtigkeit des Englischen Volkstums in
Parallele gestellt hatte zu der Verkommenheit des französischen
Adels. Namentlich die Frauen begannen englische Moden nachzuahmen
. „Dieses bezaubernde Geschlecht, das der Franzose
anbetet, ohne sich die Zeit zu nehmen, es zu lieben, gab dem
Geschmack der Nation bald den Impuls für seine neuen Entdeckungen
. Man wollte anfangs sich kleiden wie die Engländer;
davon ließ man indes bald ab. Aber die Mode der Kleider
führte allmählich die Art zu denken ein, man ergriff begierig
ihre Metaphysik, wie sie wurde man Geometer; unsere Theaterstücke
zeugten von dem Verkehr mit England; man war sogar
bemüht, selbst, die Prinzipien der Theologie von ihnen zu entlehnen
; Gott weiß, ob man in dieser Hinsicht etwas dabei gewonnen
hätte. Zuletzt fehlte dem Franzosen weiter nichts, als
das Glück, Freimaurer zu sein, und er ist es geworden."1 Doch
auch ernstere Motive führten der Loge viele Franzosen zu.
* S. l'Ordre trahi 1. c. p. 9 f.
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