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ACHTES KAPITEL.

sam und mühselig mußten nach beendigtem Kriege die Grundlagen
einer neuen Existenz und Kultur wieder gewonnen werden,
und das konnte nur auf dem Boden der Territorien geschehen.
Die Reichsverfassung war lediglich eine antiquierte Kuriosität,
aber doch das einzige Band, das die Deutschen ein bischen zusammenhielt
. Jetzt entfaltete sich ungehemmt das Sonderleben,
das schon in der unglücklichen Zeit des Interregnums Kaum
gewonnen hatte. In kleinen engen Kreisen spielte sich fortan
das Leben des Deutschen ab, unendlich beschränkt und armselig,
ausgeschlossen von der Anteilnahme an der Politik und dem
öffentlichen Leben, ohne Ideal, Hoffnung und Aussicht, daß seine
Nation jemals wieder im Konzert der Völker eine Stimme mitzuspielen
habe, ein Privatmensch, der sich demütig und ergeben
der Willkür seiner Obrigkeit fügte. Auch die Religion erwärmte
nicht mehr sein Gemüt, denn sie war in Formeln erstarrt und
diente der Regierung als ZuchtmitteL Man war gleichgiltig
gegen die Glaubensfrage geworden. Deutschland und die Schweiz
waren die einzigen Länder in Europa, wo volle Parität herrschte.
Das war die beste Frucht des großen Krieges, aus dem der
Protestantismus zwar geschwächt, aber doch seine Position behauptend
, hervorgegangen war. Gemäß der Zersplitterung der
Territorien saßen die drei großen Glaubensparteien zerstreut
über das ganze Land, oft nahe bei einander, ja in manchen
Städten, wie Straßburg, Worms, Augsburg u.s.w. mußten sich
Lutheraner und Katholiken bequemen, nebeneinander zu wohnen,
oder wie in der Pfalz und im Kanton Glarus sogar gewöhnen,
in ein und derselben Kirche Gott zu verehren und Frieden zu
halten. Wohl schmähte noch hie und da ein lutherischer Pastor
über die babylonische Hure in Rom, wohl gingen die Jesuiten
auf die Seelenjagd aus, zuweilen auch erwachte im Volke wieder
der alteingefleischte Fanatismus, aber die Gebildeten verhielten
sich meist ganz indifferent. Die Furcht der Protestanten vor
dem Papsttum war geschwunden und zu keiner Zeit das Ansehen
der römischen Kurie tiefer gesunken als jetzt. Duldung wurde
nun eine Haupttugend des gebildeten Mannes, und sogar Geist-


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