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ACHTES KAPITEL.
Blut kostet, ist gewiß kein Blut wert.u In Übereinstimmung
mit Lessing träumte der einsame Denker in Königsberg von
einem europäischen Staatenbunde mit einer einheitlichen Verfassung
, wodurch der ewige Frieden garantiert würde. Dieser
kosmopolitische Zug durchdringt die gesamte deutsche Literatur
des vorigen Jahrhunderts.
Toleranz und Kosmopolitismus sind aber die Grundbedingungen
des Freimaurerbundes; folglich war der Boden Deutschlands
für seine Verpflanzung und Ausbreitung wohl geeignet. Dazu
kamen dann noch andere Faktoren, die bewirkten, daß die Freimaurerei
in Deutschland zu weit größerer Bedeutung gelangte,
als selbst im Mutterlande, in England. Dort galt sie als
Zufluchtsort für tätige Männer, die sich zeitweise aus dem
stürmischen Tagestreiben in die stille Loge zurückziehen wollten,
gleichsam in einen sichern Port, um hier sich als Mensch zu
fühlen und Werke der Barmherzigkeit auszuüben. In Frankreich
trieb vorzüglich die Neugierde und die Sehnsucht, der Glückseligkeit
der Gleichheit teilhaftig zu werden, Adlige und Bürgerliche
in die Loge. Weder in Deutschland noch in Frankreich
existierte ein öffentliches Leben, und jede Vereinstätigkeit war bei
dem Druck polizeilicher Willkür sehr erschwert. Frankreich besaß
wenigstens seine Salons, in Deutschland gab es in den größeren
Städten gelehrte Gesellschaften, die Nachfolgerinnen der Sozietäten
oder Akademien des 17. Jahrhunderts, welche sich wie diese
mit literarischen Fragen aber auch mit solchen aus dem Gebiete
der Moral und Religion beschäftigten und sich althergebrachter
Symbole bedienten, die wir bei den Freimaurern wiederfinden.
So berichtet Vasari1 von einer Gesellschaft in Rom, Compagnia
della Cazzuola, aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts, der
Künstler, Musiker, Ärzte, Kaufleute etc. angehörten, die als
Gesellschaftszeichen eine Maurerkelle besaß und deren Mitglieder
bei ihren Festen Schürzen, Hämmer, Kellen und andere Werk-
1 Vite de piu ecceüenti pittori VI. Firenze 1881. Vgl. L. Keller, Zur
Geschichte der Bauhütten und der Hüttengeheimnisse. Berlin 1898, p. 15 ff.
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