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DIE ENTARTUNG DER FREIMAUREREI IM 18. JAHRHUNDERT. 207
Seelen wenig befriedigen, und ebensowenig die auf den Universitäten
gepflegten Wissenschaften die nach höherer Wahrheit
und Weisheit Lüsternen. Trotz aller Aufklärung herrschte in
Deutschland eine mystisch gefärbte trübe Stimmung. Der durch
die Popularphilosophie verbreitete Deismus schlug leicht in den
Materialismus um, wie der Unglaube in Aberglaube und Wahnwitz
. Jeder Aufgeklärte schwor darauf, daß Christus ein weiser
Mann gewesen war und daß die Wunder des alten und neuen
Testaments lediglich auf Pfaffentrug beruhten. Aber dieselben
hellsichtigen Leute wurden mit leichter Mühe eine Beute jedes
beliebigen Schwindlers. Denn die Bildung, zumal des Adels,
war überaus oberflächlich, meistens auf den Schein berechnet
und der wissenschaftliche und liierarische Betrieb ein dilettantischer
.1 Auch jetzt noch, gerade wie im 16. Jahrhundert,
wurden die wirklich großen Entdeckungen auf dem Gebiete der
Naturwissenschaften nicht in dem Maße gewürdigt und verstanden
, wie sie es verdient hätten, indem die überreizte Phantasie
nach viel höheren, wunderbaren Geheimnissen lechzte. Astrologen
und Adepten gab es immer noch sehr viele und sogar
Ärzte glaubten an magische Kräfte und blickten bewundernd zu
Swedenborg und Mesmer auf. Tausende sonst sehr gebildete
Menschen glaubten an den Stein der Weisen und das Lebens-
elixir und waren begierig darauf versessen, unedle Metalle in
Gold zu verwandeln. Denn die Genußsucht war in allen Ständen
weit verbreitet, und die Fürsten zumal liebten es, einen Luxus
zu entfalten, dem ihre Mittel nicht gewachsen waren. Wohl
hielt man sich für allmächtig, allein Gold ließ sich nicht aus
dem Boden stampfen und die Aussaugung der Untertanen hatte
ihre Grenzen. Daher konnten nur wenige dieser Fürsten dem
1 Einen trefflichen Beleg hiefür bieten das Lehen und die Schriften
des Freiherrn von Knigge. S. dessen Biographie von iL Gödeke. Hannover
1844. Anch Herders Sehriftstellerei kann nicht immer vom Vorwurf
des Dilettantismus freigesprochen werden, indem ich namentlich auf
manche in der Adrastea erschienenen historischen und politischen Aufsätze
verweise.
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