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ACHTES KAPITEL.
ihnen verliehenen Herrschaftsrechte und taten nicht nur nichts
für die öffentliche Wohlfahrt, sondern hemmten mit Bewußtsein
alle darauf hinzielenden Bestrebungen. Wohl rühmte man sich
gerne der durch den* Heldenmut der Väter erkämpften Freiheiten,
aber man hielt Bürger und Untertanen in sklavischer Unterwürfigkeit
. Mit berechtigtem Hohne deckt der junge Goethe
die gähnende Kluft zwischen Einst und Jetzt auf: „Frei wären
die Schweizer und frei diese wohlhabenden Bürger in den verschlossenen
Städten? Frei diese armen Teufel auf ihren Klippen
und Felsen ? Was man dem Menschen nicht alles weismachen
kann! Besonders wenn man so ein altes Märchen in Spiritus
aufbewahrt! Sie machten sich einmal von einem Tyrannen los
und konnten sich in einem Augenblick frei denken; nun erschuf
ihnen die liebe Sonne aus dem Aas des Unterdrückers einen
Schwärm von kleinen Tyrannen durch eine sonderbare Wiedergeburt
; nun erzählen sie das alte Märchen immerfort, man hört
bis zum Überdruß, sie hätten sich einmal frei gemacht und
wären frei geblieben: und nun sitzen sie hinter ihren Mauern,
eingefangen von ihren Gewohnheiten und Gesetzen, ihren Frau-
basereien und Philistereien, und da draußen auf den Felsen ist's
auch wohl der Mühe wert, von Freiheit zu reden, wenn man
das halbe Jahr vom Schnee wie ein Murmeltier gefangen gehalten
wird."1
In der Tat kann von Freiheit da kaum geredet werden, wo
die Begierungen jede Regung freier Gesinnungen mit blutiger
Hand darniederschlugen. Sogar die harmlosen Reden der helvetischen
Gesellschaft, der doch vorzugsweise die aristokratischen
Kreise angehörten, wurden verdächtigt. Wie hätte unter solchen
ungünstigen Umständen die Freimaurerei sich frei entwickeln
können?
Am 20. Februar 1739 gründeten Engländer in Lausanne eine
Loge La parfaite Union des Etrangers, und darauf entstanden
1 Briefe aus der Schweiz. Anhang zu Werthers Leiden. Ausgabe
letzter Hand, XVI, 197 f.
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