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DIE ENTARTUNG DER FREIMAUREREI IM 18. JAHRHUNDERT. 257
System angehören. — Doch auch in vielen Logen der Strikten
Observanz herrschte ein guter Geist. Sie ließen es an Opferwilligkeit
nicht fehlen und ihre Freigebigkeit und Bereitwilligkeit
, die Not zu lindern, war oft größer als heute, wo kostbare
Logengebäude die Mittel der Brüder über Gebühr in Anspruch
nehmen. Trotz aller ritterlichen und alchimistischen Spielerei
lebte das Ideal eines echten Maurers in vieler Herzen.1
Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Zuclrang
in die Logen Deutschlands ein ganz außerordentlicher, indem
alle begierig waren, den Schleier des Geheimnisses, in das sich
damals die Freimaurerei hüllte, zu lüften. Die Leichtgläubigkeit
und Kritiklosigkeit jener Generation fielen Schwindlern und Betrügern
zum Opfer, die vorgaben, den wahren Ursprung und
Zweck der Freimaurerei zu kennen und ohne Gewissensbisse
Papiere fälschten, Rituale fabrizierten und Systeme zimmerten.
Alle diese gehen von dem Gesichtspunkte aus, daß die drei
ersten Grade (Lehrling, Geselle, Meister) oder die sogenannten
Johannislogen gleichsam nur den Vorhof zum innern Tempel
bilden; einzig und allein die höhern Grade, die Schotten- oder
Andreaslogen vermögen Aufschluß über den Zweck der Freimaurerei
zu geben. Diese höheren Grade, als Innere Oriente organisiert,
maßten sich die Leitung der Johannislogen an. Die Brüder der
drei niedern oder blauen Grade wurden absichtlich von den Mitgliedern
der obern oder roten Grade getäuscht, indem man
ihre Phantasie und Begierde durch allerlei Andeutungen reizte.
Und noch schlimmer war es, daß man die Johannisbrüder im
Ungewissen über die wirklichen Leiter des Bundes ließ und sie
durch Vorspiegelungen der Allmacht dieser unbekannten Obern
in Furcht und Angst versetzte.4 Wir haben gesehen, auf welchem
schwachen Grunde der luftige Bau des Systems der strikten
1 Siehe die vortreffliche Anrede des Grafen von T. an seinen Sohn bei
Keller, Geschichte der Freim. in Deutschland p. 172 ff.
2 Sehr gut ist alles dies bei Albrecht, Geheime Geschichte eines Ro*en-
kreuzers. Hamburg 1792 dargestellt. Man muß bei Kopp, Alchimie II,
117 ff. nachlesen, welche Angst G. .Forster vor der Verfol^rungawut der
unbekannten Obern empfand.
H. Boos, Geschichte der Freimaurerei. 17
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