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ACHTES KAPITEL.
darauf an, ob er sich ein Alter von ein paar hundert oder tausend
Jahren beilegte, denn in dieser Hinsicht war er blos ein Nachäffe
!* Saint Germains.
Um nun auf sein System zurückzukommen, so verstand er
es die Neugierde zu reizen. Er versprach seinen Anhängern in
ihnen sei sowohl eine physische als eine moralische Regeneration
zu bewirken. Der Stein der Weisen und die Akazie als Symbol
der Unsterblichkeit bieten die Garantien der ewigen Jugend.
Durch das Pentagon oder das jungfräuliche Blatt, auf dem die
Engel ihre Chiffern und Siegel eingegraben haben, werden sie
von ihren Fehlern befreit und zu jener ursprünglichen Unschuld
geführt, die der Mensch durch seinen ersten Sündenfall eingebüßt
hatte. Natürlich schloß Cagliostro die Frauen, die ja besonders
empfänglich sind für suggestive Eindrücke, nicht von der Aufnahme
in diesen Ägyptischen Ritus aus und ebensowenig irgend
eine Religion, denn in allen Religionen gibt es naive Seelen,
deren Leichtgläubigkeit und Hinneigung zum Wunderbaren ausgenützt
werden konnte. Die einzigen Bedingungen waren der
Glaube an die Unsterblichkeit der Seele und für die Männer
die Zugehörigkeit zum Freimaurerbund. Das System umfaßte
90 Grade oder Stufenleitern;1 diese vielen Grade boten den
Vorteil, die Neugierde und Phantasie aufs höchste zu reizen und
nebenbei Gelegenheit durch Forderung von Rezeptionsgeldern
den Beutel zu füllen. Es ist hier nicht der Platz, das ganze
System und Ritual des Ägyptischen Ritu& ausführlich darzustellen,
indem ein Hinweis auf Goethes „Großkophta" (1792) genügt.
Die dem Ritual einverleibte Thaumaturgie bietet absolut nichts
Originelles. Denn die Zitierung der Geister ist einfach Swedenborg
entlehnt und das Lebenselixier dem Grafen Saint Germain.
Eine Hauptrolle bei diesem Hokus-Pokus spielte eine wunderbare
mit Wasser gefüllte Karaffe, nichts anderes als der Zauberspiegel
, der sowohl in der okkultistischen Literatur seit uralter
1 Die besten Mitteilungen finden sich in dem Buch: Vie de Joseph
Balsamo connu sous le nom de comte Cagliostro. Paris et Strasbourg 1791.
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