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ACHTES KAPITEL.
Der Preußische Minister Chr. A. H. K. Graf von Haugwitz veröffentlichte
1785 einen „Hirtenbrief an die wahren und ächten
Freimaurer alten Systems," worin er gegen die Aufklärer und
Illuminaten die wildesten Drohungen ausstieß. Wir begreifen
es, daß Nicolai den Drohungen Wöllners sich verschloß.
Auf Dankbarkeit darf niemand, selbst wenn er das Höchste
geleistet hat, rechnen. So erwarteten viele in Preußen mit
Ungeduld den Tod des großen Friedrichs, indem sie fanden, er
habe seine Verdienste längst überlebt. Als daher das große
Ereignis eintrat und Friedrich der Große am 17. August 1786*
auf seinem Lehnstuhl verschied, da atmeten alle die, welche
ihn gefürchtet hatten, auf und begrüßten seinen Nachfolger
König Friedrich Wilhelm IL als die Morgenröte einer neuen
bessern Zeit. Der neue Monarch aber war nicht der Mann,
die überschwänglichen Hoffnungen zu erfüllen. Ohne Erziehung
aufgewachsen, ohne jedes Bildungsbedürfnis und ohne jeden
moralischen Halt, gab er sich mystischen Neigungen und ungezügelter
Ausschweifung hin und wurde darin von seinen Ordensbrüdern
vom Goldenen- und Rosen-Kreuz nur gefördert. In der
Bibliothek des von ihm in Potzdam erbauten Marmorpalais
stellte er fast ausschließlich mystische Bücher auf. Hier und
in Berlin trieb man den bekannten Hokuspokus weiter. In
Wöllners Wohnung wurde eine Schaubühne für die Geistererscheinungen
eingerichtet und u. a. Caesars Schatten zitiert. Die
Rolle des Geistes spielte ein Sachse Steinert, der in der Kunst
des Bauchredens geübt war.1 Eine Bande von Schmarotzern
niedrigster Art scharrte sich um den König, im Dienste Bischoffs-
werders und Wöllners, die nun zur vollen Macht zu gelangen
hofften. Der erstere war der intimste Vertraute des Königs,
der ihn zum Oberstleutnant und Generaladjutanten ernannte..
Dabei verstand er unter dem Scheine der Bescheidenheit und
Uneigennützigkeit seinen Ehrgeiz zu verbergen. Viel weniger
konnte diesen der unbändig ehrgeizige Wöllner verstecken, der
1 Philippson 1. c. I, 181 ff, II, 135 ff, 149 ff.
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