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DER EINFLUSS DEE FREIMAUREREI AUF DIE GEISTIGE KULTUR, 311
in Kunst und aus Lage in Lage und immer mit ganzer unveralteter
Seele wirft ; solch ein Mann kann Deutschland erleuchten/ 1
In Braunschweig, in dessen Nähe Lessing seit 1770 lebte, arbeiteten
mehrere Logen, und Herzog Ferdinand von Braunschweig
stand seit 1772 als Magnus superior Ordinis per Germaniam
inferiorem an der Spitze der strikten Observanz. Aber in den
Kreisen, wo Lessing mit Vorliebe verkehrte, hielt man nicht viel
von dem Geheimbunde, namentlich Dr. Reimarus in Hamburg
meinte kühl, Vernunft hat keine Zeremonien, und Sokrates, den
es nicht nach den Eleusinischen Mysterien verlangte, wäre in
unsern Tagen auch kein Freimaurer geworden. Und doch hat
sich Lessing mit der Freimaurerei intensiv beschäftigt, denn ihn
reizte es, das Rätsel ihres Ursprungs zu lösen. "Wir besitzen noch
den ersten Entwurf seiner Freimaurergespräche, der vor seiner
Aufnahme in den Bund geschrieben ist. Kühl genug spricht er
sich über das freimaurerische Geheimnis aus, in der nüchternsten
Form: „die Geheimnisse sind weder der Weg zur Hölle
noch zum Himmel." Er hatte Andersons Konstitutionenbuch
und andere Schriften gelesen und glaubte über diese Sache hin"
länglich orientiert zu sein. In diesem Sinne äußerte er sich
gegenüber Bode in Hamburg, der ihm erwiderte: „Lessing!
Ich möchte nicht gern in irgend einer Wissenschaft Ihr Gegner
sein; aber hier wissen Sie so wenig, daß ich es leicht haben
würde, meinen Speer gegen Sie aufzunehmen." Das bewog
Lessing, um die Aufnahme in die von Bode geleitete Loge Ab-
salom zu bitten. Dieser schlug es ihm ab mit den Worten:
„Ich wüßte keinen Mann, den ich lieber zum Bruder hätte als
Sie; aber ich muß es Ihnen deswegen platterdings abraten, sich
aufnehmen zu lassen, weil die Fortschritte in unserm Systeme
(der strikten Observanz) zu langsam für Ihr Alter und Ihren
feurigen Charakter sind." Gerade dieser Widerspruch reizte
Lessing, und er ließ sich nun erst recht durch einen pensionierten
Rittmeister, Baron von Rosenberg, der als Sendling Zinnendorfs
1 E. Schmidt 1. c. II, 183.
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