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NEUNTES KAPITEL.
geEuterLwerden,1 der Naturmensch, welcher sich seinen sinnlichen
Trieben hingibt. Die Königin der Nacht, die Feindin des
Lichtes, wird durch den Bund Taminos (Kaiser Josephs) mit der
Pamina (den Osterreichischen Volke) besiegt. Aus diesem Bunde
entspringt nun bei Goethe der Genius der Aufklärnng, den die
heilige Priesterschaft, d. h. die Freimaurer beschützen.
Cagliostro2 interessierte Goethe aufs lebhafteste, und sein
Geschick und die ungeheure Katastrophe, in die dieser große
Schwindler verwickelt war und wodurch die Revolution eingeleitet
wurde, beschäftigten seinen Geist nachhaltig, bis er sich,
seiner Gewohnheit gemäß, des Stoffes dichterisch entledigte.
Herder und Schiller lobten den „GioMLozMa", und Goethe legte
Gewicht auf dieses Stück, weil es ein so gutes Sujet enthalte.
„Ich sage, ein so gutes Sujet, denn im Grunde ist es nicht blos
von sittlicher, sondern auch von großer historischer Bedeutung;
das Faktum geht der Französischen Revolution unmittelbar voran
und ist davon gewissermaßen das Fundament. Die Königin, der
fatalen Halsbandgeschichte so nahe verflochten, verlor ihre
Würde, ja ihre Achtung, und so hatte sie denn in der Meinung
des Volkes den Standpunkt verloren, um unantastbar zu sein.
Der Haß schadet niemand, aber die Verachtung ist es, was den
Menschen stürzt." Indirekt verkennt er jedoch das Verfehlte
nicht. „Die behandelten Verbrechen behalten immer etwas Appre-
hensives, wobei es den Leuten nicht heimlich ist." Der
mystische Betrug, der der Dichtung zu Grunde liegt, entbehrt
jedes poetischen Reizes, und darum konnte dieses Drama keinen
Erfolg haben.
Zwei Werke, Faust und Wilhelm Meister, begleiteten Goethe
durch einen großen Teil seines Lebens; beide sind noch in
1 Der, welcher wandelt diese Straße voll Beschwerden,
Wird rein durch Wasser, Feuer, Luft und Erden;
Wenn er des Todes Schrecken überwinden kann,
Schwingt er sich aus der Erde himmelan.
Erleuchtet wird er dann imstande sein,
Sich den Mysterien der Isis ganz zu weihn.
2 s, o. p. 265 ff.
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