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DER EINFLUSS DER FREIMAUREREI AUF DIE GEISTIGE KULTUR. 359
mann etc. Der Roman zeigt, wie Goethe, der Bürgerssohn
aus Frankfurt, schrittweise zum Edelmann wird. Vortrefflich
charakterisiert Wilhelm Meister in seinem Brief an Werner
{BuchV, 3. Kap.) den Unterschied des Edelmanns und des Bürgers,
wo er u. a. sagt: „in Deutschland ist nur dem Edelmann eine
gewisse allgemeine, wenn ich sagen darf personelle, Ausbildung
möglich. Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und zur
höchsten Not seinen Geist ausbilden, seine Persönlichkeit geht
aber verloren, er mag sich stellen, wie er will." Der Edelmann
allein ist eine öffentliche Person, „und je ausgebildeter
seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltener und
gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommener ist er."
Um in der Welt tätig sein zu können, mußte man adlig sein.
Das Theater ist für Wilhelm Meister die hohe Schule der Lebenserfahrung
, der äußern und innern Bildung. Verdrießlich schildert
Wilhelm Meister das nichtige, eitle Treiben der Schauspieler,
worauf sein Freund Jarno plötzlich in ein schallendes Gelächter
ausbrach und dem erstaunten Wilhelm sagte: „Wissen Sie denn,
daß Sie nicht das Theater, sondern die Welt beschrieben haben?"
Wilhelm wird endlich gewahr, daß er nicht zum Schauspieler
geschaffen sei. Er kommt nun auf das Schloß Lotharios, in
einen andern Lebenskreis, in eine höhere, edlere Bildungs- und
Gesinnungssphäre; „durch furchtbare Schicksale, durch Krankheit
und Tod vertieft sich die Betrachtung, läutert sich die
Ansicht des Lebens, die trübe, verworrene Leidenschaft löst sich
in weise Humanität auf. Wilhelm, der anfangs auf so viel
falschen Wegen irrte, hat sich zurecht gefunden; er hat im
Umgang mit edlen Frauen und äußerlich reichen und vornehmen,
innerlich gehaltvollen Männern die Harmonie von Geist und
Körper erreicht, die die Idee des Adels bildet."1
Welch bedeutsames Kulturelement am Ende des 18. Jahrhunderts
die Freimaurerei war, offenbart gerade dieser Roman.
Wilhelm Meister hatte, so freundlich er auch von Lothario
aufgenommen worden war, bemerkt, daß man vor ihm manches
1 Hehn, 1. c. p. 261.
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