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NEUNTES KAPITEL.
verheimliche. Eines Abends eröffnete ihm Jarno, daß er nun
tiefer in ihre Geheimnisse eingeführt werden sollte. „ Es ist gut,
daß der Mensch, der erst in die Welt tritt, viel von sich halte,
daß er sich vorab Vorzüge zu erwerben denke, daß er alles
möglich zu machen suche; aber wenn seine Bildung auf einem
gewissen Grade steht, dann ist es vorteilhaft, wenn er sich in
einer größeren Masse verlieren lernt, wenn er lernt, um anderer
willen zu leben und seiner selbst in einer pflichtgemäßen Tätigkeit
zu vergessen. Da lernt er erst sich selbst kennen, denn
das Handeln eigentlich vergleicht uns mit andern." Zur bestimmten
Stunde wird nun Wilhelm in den geheimnisvollen
Turm geführt. Er wird gewahr, daß man seinen Lebensgang,
ihm unbewußt, genau beobachtet hatte. Eine Stimme rief ihm
entgegen: „Nicht vor Irrtum zu bewahren, ist die Pflicht des-
Menschenerziehers, sondern den Irrenden zu leiten, ja ihn seinen
Irrtum aus vollen Bechern ausschlürfen zu lassen, das ist Weisheit
der Lehrer. Wer seinen Irrtum nur kostet, hält lange damit
Haus, er freuet sich dessen als eines seltenen Glücks: aber wer
ihn ganz erschöpft, der muß ihn kennen lernen, wenn er nicht
wahnsinnig ist." Er bekam darauf einen Lehrbrief voller weiser
Lebenswahrheit. Dieser Lehrbrief enthielt auch Aufschlüsse
über die wahre Tendenz der Gesellschaft: „Die Neigung der
Jugend zum Geheimnis, zu Zeremonien und großen Worten ist
oft außerordentlich, und oft ein Zeichen einer gewissen Tiefe des
Charakters. Man will in diesen Jahren sein ganzes WTesen, wenn
auch nur dunkel und unbestimmt, ergriffen und berührt fühlen.
Der Jüngling, der vieles ahnt, glaubt in einem Geheimnis viel
zu finden, in ein Geheimnis viel legen und durch dasselbe
wirken zu müssen." Aus diesen Gesinnungen entstand die geheime
Gesellschaft. „Es blieb etwas Gesetzliches in unsem Zusammenkünften
, man sah wohl die ersten mystischen Eindrücke auf die
Einrichtung des Ganzen, nachher nahm es, wie durch ein Gleichnis,
die Gestalt eines Handwerks an, das sich bis zur Kunst erhob.
Daher kamen die Benennungen von Lehrlingen, Gehilfen und
Meistern . . . Nicht allen Menschen ist es eigentlich um ihre
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