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ZEHNTES KAPITEL»
FeJßler den Beitritt des berühmten Philosophen Fichte zur Loge
Eoyal York. Dieser wackere Wahrheitskämpfer war wahrscheinlich
in Zürich Freimaurer geworden. Seinem Freunde
Schöne, dem spätem Burggrafen von Marienburg, schrieb er auf
dessen Anzeige, daß er dem Bunde beigetreten sei: „In unserm
durch Luxus zur Sklaverei und durch diese zu allem Verderben
gebrachten Zeitalter scheint mir eine Gesellschaft, die für dasselbe
ein Samen des Guten, die ihm ungefähr das werde, was
das Vehmgericht und die Ritterschaft unsern verdorbenen Voreltern
waren, sehr nötig, und dazu könnte die Freimaurerei,
nicht in ihrer gegenwärtigen Verfassung, aber wenigstens ihrer
schon autorisierten Hülle qualifizieren.8 Er hatte die verschiedenen
freimaurerischen Systeme kennen gelernt, und so durfte man
erwarten, daß ein fruchtbarer Ideenaustausch zwischen den zwei
auf der Höhe der Bildung stehenden Männern stattfinden würde»
Allein Fichte war ein Mann von eiserner Energie und rücksichtslosem
Selbstbewußtsein, der sich niemals einer andern Meinung
fügen konnte, und auch Feßler besaß die Gelehrtenunart der
Starrköpfigkeit. So kamen sie schon über den Begriff der historischen
Wahrheit hart hintereinander.1 Feßler berief sich auf
den Spruch Seneca's de vita beata c. VIII: „Durch nichts äußeres
lasse sich der Mann bestechen oder überwinden! Er habe Zuversicht
in sich selbst; aber, seiner Zuversicht mangele es nie an
Einsicht, seiner Einsicht nie an Festigkeit etc.", dem Fichte
als seinen Grundsatz die Verse entgegensetzte:
„Nichts wähn er (der Mensch) sein: Besitztum ist ihm Schranke,
Ruh Tod; ein ew'ger Kampf der Freiheit Wesen,
Es kümmr' ihn nie, was hinter ihm versunken.
Vernichtend, schaffend, wechsle der Gedanken.
Das Reinste sei zum FJammengrab erlesen,
Wo ihn, verjüngend, treffe Gottes Funken."
Das Verhältnis wurde immer gespannter, und da Fichte
sich auch van einem andern Bruder beleidigt glaubte, so kehrte
er erzürnt der Loge den Rücken.
1 Die ganze sehr interessante Diskussion ist abgedruckt im Allgem.
Handbuch der Freimaurerei. Leipzig, Brockbaus 1863 I. p. 341 - 348.
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