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ZEHNTES KAPITEL
sichten zum Lichte führt." Mit dem durch die Bitterkeit erlittener
Kränkung geschärften Blicke bemerkte Feßler alle Mängel
des Logenwesens. Die meisten Brüder kommen mit hochgespannten
Erwartungen in die Loge, und da sie selbst nichts
tun, um das in der Phantasie ausgemalte Bild der Wirklichkeit
nahe zu bringen, so werfen sie die Schuld auf die andern und
beklagen sich, sie seien hinters Licht geführt worden. Feßler
aber war in denselben Fehler gefallen, indem er an die Brüder
viel zu hohe Anforderungen gestellt und nichts dafür getan
hatte, sich ihre Freundschaft zu erwerben. Er verkannte völlig
die menschliche Natur, die eine große Spannung der Seele
nicht lange erträgt. Die meisten Brüder sind Geschäftsleute
ohne höhere Bildung. Von der Wochenarbeit kommen sie ermüdet
in die Loge, in der Erwartung, hier angenehme Gesellschaft
und Unterhaltung zu finden. Die Brüder in der Loge Royal
York vermißten in den Feßlerschen Initiationen das Sinnliche,
weshalb sie später wieder rückwärts revidiert wurden, in dem
Sinne, daß die Erkenntnisstufen in wirkliche Hochgrade umgewandelt
und dem Innersten Oriente die Entscheidung über Lehre
und Ritual übertragen wurde.
Noch ehe Feßler aus Berlin schied, hatte er einen Bund
scientifischer Freimaurer gegründet, der ähnliche Zwecke verfolgte
, wie der Engbund.1 Den Undank der Berliner Brüder
empfand er bitter, und grollend wollte er sich fortan von allem
Logenwesen abwenden. Allein gerade in der Zeit der größten
Not erprobte sich an ihm die schönste Tugend der Freimaurerei:
aufopferungsvolle Freundschaft. Die Brüder der Logen Apollo
in Leipzig, Goldener Apfel in Dresden, Zu den drei Bergen in
Freiberg, nahmen sich seiner höchst liebevoll an.2 An Friedrich
Moßdorf fand er einen hingebenden, immer hilfsbereiten Freund,
der Feßlers große Bedeutung für die Freimaurerei voller Dankbarkeit
anerkannte und ihm, obwohl auch er zuweilen das
1 S. den schönen Aufsatz von W. 0. Helmert in der Freimaurer-Zeitung
1861 Nr. 1—5.
2 S. Hellmert in der Latomia XVIII, 1 ff.
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