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troffen ist. An der anderen Säule geht die
Geschichte weiter. Des Mannes Herz ist fest
von zwei Händen erfaßt; er nimmt also nach
St. Gallischer Redensart „das Herz in beide
Hände", und der Erfolg bleibt nicht aus: im
letzten Felde sind beide Herzen von einem
Pfeil durchbohrt, und hell lodern die Flammen
der Liebe aus ihnen. Leider finden sich weder
Jahreszahlen noch Meisterzeichen an irgendeinem
Teile des Hauses. Das schöne Portal
ist neuer, vielleicht mit dem Aufbau eingefügt
worden.
(Daten aus den in den Händen der jetzigen
Besitzer befindlichen Hausbriefen.)
Das „Schlößli" an der Speisergasse
(Blatt 16)
Die Familie Zollikofer zog von Konstanz
nach St. Gallen und ließ sich hier bleibend
nieder im Anfang des 15. Jahrhunderts. Hans,
der erste hier wohnende, erwarb 1438 ein
Haus beim Speisertor. Die außerordentlich
fruchtbare und zugleich erwerbstüchtige Familie
kam rasch zu großem Reichtum und
Ansehen. Sie wußte ihre im Handel erworbenen
Mittel in festem Grundbesitz anzulegen,
der oft auch mit Herrschaftsrechten und
niederer Gerichtsbarkeit verbunden war. So
kaufte Leonhard Zollikofer 1525 Pfauenmoos bei
Berg, Jakob 1529 den Hahnberg und das Bürgli
am Brühl. Besonders Leonhart, geb. 1529, war
groß in dieser Richtung. Er erwarb 1585
Schloß und Herrschaft Altenklingen im Thur-
gau und baute 1586 das Schloß daselbst neu.
Er bestimmte die Herrschaft zu einem Fideikommiß
, das heute noch dem jeweiligen Senior
der Familie dient. Im folgenden Jahre 1587
baute Junker Laurenz, Sohn des Stadtammann
Laurenz*) Zollikofer und Dorothea von Watt,
also Enkel Vadians und Erbe der reichsten
Bürgerin, an Stelle des alten Hauses das
„Schlößli" beim Speisertor. Der Rat der
Stadt willigte ein, daß er zu diesem Bau
„wohl möge einen fremden Baumeister beschicken
, die Werkleut nach seinem Gefallen
zu regieren, von männiglich und besonders
von der löblichen Schmiedenzunft ungehindert"
(zur Schmiedenzunft gehörte alles „was Ham-
*) Siehe „Tiefenkeller".
mer und Axt schwingt", also die meisten
Bauberufe). Als Werkmeister des Schlosses
Altenklingen wird genannt Matheus Höbel von
Kempten und Meister Vögeli, Zimmermann.
Es ist bei dem genau übereinstimmenden Charakter
beider Bauten leicht denkbar, daß Höbel
dieser fremde Meister gewesen ist. Wenn
man die Formen der gleichzeitigen Bauten:
Rathaus 1564, Haus Hinter Lauben Nr. 6
1581, jetziges Stadthaus 1590, mit denjenigen
des Schlößli vergleicht, so drängt sich einem
fast die Vermutung auf, der Junker habe den
fremden Baumeister kommen lassen, weil ihm
die einheimischen Meister zu fortschrittlich
bauten, zu wenig seinen feudalen Gefühlen
entsprechend. Leider hat eine vor wenig Jahren
vorgenommene Restaurierung das schlichte
Bauwerk mit aufgeklebtem Zierwerk so unglücklich
„verschönert", daß eine photographische
Wiedergabe nicht mehr möglich ist. —
Weiterer Bautätigkeit Zollikoferscher Familienglieder
begegnen wir noch oft, sowohl in St.
Gallen, als im Rheintal, Thurgau usw.
„Das große Haus", das jetzige Stadthaus
(Blatt 17, 18, 19)
Ebenso wie der Portnerhof, gehörte ursprünglich
auch das Gebiet, auf dem heute dieses
Haus und das Gebäude des Kaufmännischen
Direktoriums steht, zum Klosterbezirk. Hier
stand die alte, übrigens schon lange in Abgang
gekommene St. Johanneskirche. Bei der infolge
des Wiler Vertrages von 1566 vorgenommenen
Ausscheidung kam alles außerhalb
des jetzigen Klostergebietes liegende Eigentum
der Abtei an die Stadt. Hans Schlumpf, (1541
bis 1594), dessen Bruder Martin (1524—1619)
der reichste Bürger war, kaufte 1589 die
St. Johanneskirche und die daran stoßende
Behausung, brach sie ab und baute von 1590
bis 1593 das jetzige Gebäude, lange das „große
Haus" genannt. Später ging es in die Hände
der Familie Zollikofer über und beherbergte
bis zu deren Fallissement die Handelsgesellschaft
Joachim, Laurenz und David Zollikofer;
1676 ist es im Besitze der Kreditoren derselben
.
1786 wurde es vom Kaufmännischen Direktorium
erworben, das seine eigene Postanstalt
aus deren ursprünglichem Lokal im
Tiger am Markt hierher verlegte. 1867 über-
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