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aber in den fünften Stock (!) verlegter Saal,
dessen Dekoration jedoch ganz in der naiven
Art der alten Bauernkunst gehalten
ist (bunte, aus wenigen Strichen bestehende
Blumen wie an den Stühlen, Bettladen und
dem Töpfergeschirr jener Zeit). Reicher
und gemütlicher als gewöhnlich ist auch
das Wohnzimmer bedacht, dessen Haupttüre
innen von einem schön gegliederten,
geschnitzten Rahmen mit hübschen Pilastern
und andern Zieraten eingefasst und bei
dessen südlicher Fensterwand an Stelle des
Trumeaus eine leichte Säule eingeschaltet
ist wie im Ritterhaus. Interessant ist, wie
sich hier in ungezwungener Weise die verschiedenen
Stilgattungen ineinanderschieben
: die spätgotische Fenstersäule, die Renaissancetüreinfassung
und der im Barock
der Bauernkunst verzierte Saal, alles friedlich
beisammen, das Ganze ein typisches
Beispiel des freilich noch unbeholfenen Überganges
vom alten, einfachen Bauernhaus
zum werdenden schmuckvollen Herrenhause
.
Das Haus „Erlen" in Glarus. 1689. Auf
den altberühmten Landsgemeindeplatz grüsst
im Westen von erhöhter Terrasse ein nicht
eben grosses, aber sehr wohnlich aussehendes
Herrenhaus mit spitzem Giebel herab,
dem auf der südlichen Traufseite ein doppelt
geschweüter Mansardengiebel aufgesetzt ist,
das sog. Erlen. Ein stattlicher moderner
Treppenaufgang mit grossem Portal führt
dazu hinauf, und über der Haustüre prangt,
kunstvoll in Stein gehauen und hübsch
bemalt, das Wappen Paravicini, das einen
weissen, schreitenden Schwan mit goldener
Krone und dem Wahlspruch „candidior
nive" (weisser als Schnee) darstellt, dabei
die Jahrzahl des Hausbaues 1689, die sich
im östlichen Giebel und im Keller wiederholt
. Das Haus hat weite, gewölbte Keller
mit direkter Einfahrt, die vor Zeiten zu
Warenniederlagen dienten. Auch die Gänge
bis hinauf zum obersten Stockwerk und
einzelne Zimmer des Erdgeschosses sind
gewölbt, wie die Fenster es früher ebenfalls
waren, die Mauern durchweg von ungewöhnlicher
Dicke, italiänische Einflüsse auch
sonst in manchem fühlbar. Doch haben
Umbauten den frühern Zustand gutenteils
verwischt. In einem Zimmer befinden sich
noch einfache, kräftig modellierte Plafondstukkaturen
mit Hohlkehlenverbindung zur
Wand, in einem andern ein sehr schöner,
freistehender, weisser Ofen mit Kuppelaufsatz
, ähnlich demjenigen im Hause Brunner
im Sand (Tafel 56) und im Arbeitszimmer
des Hausherrn ein alter Ofen, dessen Füllkacheln
mit farbigen Phantasielandschaften,
die Kanten mit allegorischen Figuren samt
erläuternden Sprüchen geschmückt sind. —
Erbauer des Hauses war der Sohn eines
anlässlich der Protestantenverfolgungen im
Veltlin um 1620 aus Chiavenna hieher geflüchteten
Petrus Paulus Paravicini: Bartholomäus
(1649- 1710) all. Katharina Schiess,
Ratsherr und Landvogt von Werdenberg.
Ihm folgten darin sein Sohn Johannes,
Arzt (1674—1741), sein Enkel Bartholomäus,
Ratsherr und evang. Seckelmeister (1711 bis
1796), und sein Urenkel Fridolin (1742 bis
1802), Oberstlieutenant in der holländischen
Schweizergarde und Kommandant der Glar-
ner Truppen im Treffen bei Wollerau (1798),
wo er, eine leichte Handverletzung zum
Vorwand nehmend, schmählich floh und
seine Truppe im wStiche liess. Ganz zu dieser
feigen Handlung passt, was ihm nachgesagt
wird, dass er vor dem Einmarsch der Franzosen
in Glarus all sein Geld und Silbergeschirr
teils im Garten, teils in den Kellern
des Hauses vergraben habe. Er starb
in fremder Erde (Triest), alle seine Söhne
brachten nachher ihr Leben in fremden
Kriegsdiensten zu, und fremde Leute bezogen
das leer gewordene Haus, das sich
übrigens heute mit seinen herrlichen Gärten
zu einem ebenso schönen als hehaglichen
Herrensitz zusammenschliesst. Jetziger Besitzer
ist Fridolin Jenny-Becker.
Das Dekanenhaus in Mollis. 1700. (Tafel
26.) Dieser Name kommt dem Hause zu,
weil es durch mehr als ein Jahrhundert
fast ständig von Dekanen bewohnt war.
Mollis hatte lange Zeit zwei Pfarrer, aber
nur ein Pfarrhaus, weshalb einer der beiden
sich anderswo Unterkunft suchen musste.
Nun traf es sich, dass während 160 Jahren
immer einer dem reichen Geschlecht der
Zwicki angehörte, dass von diesen vieren
drei nacheinander das Amt des Dekans
bekleideten und meist eben hier ihre Wohnung
hatten. Am nördlichen Giebelgebälk
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