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nommener Vorwurf. Über die Fensterreihe
des ersten Stockwerkes zieht sich links ein
ornamentales mit Putten geziertes Renais-
sancegewinde. Rechts eine Kinderschlacht
in Wehr und Waffen damaliger Zeit.
Einen weitern Ausschmuck der Fassade
bildet das Eckstück des ersten Stockes, die
Madonna mit dem Kinde, auf der Mondhalbsichel
, unter ursprünglich gotischem
Baldachin.
Dieses Kabinetstück gotischer Steinskulptur
, heute als defekte Brunnenfigur im
Hofe der Kreditanstalt stehend, bildete mit
dem vis-ä-vis jetzt noch erhaltenen, durch
Renovation etwas plump gewordenen Engel
des nun Willmannschen Hauses offenbar
ein Ganzes. Beide Figuren stammen aus
Holbeins Zeit, können aber nicht den vermuteten
„Englischen Gruss" zum Ausdruck
bringen, da die Madonna mit dem Kinde
gekrönt und der Engel mit dem Schwerte
dargestellt sind. Möglichkeit wäre, dass das
Engelschwert eine früher angebrachte Lilie
ersetzt, hingegen ist das Jesuskind der
Madonna eins mit der Skulptur, die noch
genaue Spuren alter Polychromierung aufweist
. Der Engel dürfte somit die Funktion
der Schutzwache bedeuten.
In Schultheiss Jakob von Hertenstein
haben wir auch den Stifter des 1867 an der Kapellkirche
angebrachten, in Lithographenstein
geschnitzten Ölberges, geziert im rechten
Untereck mit seinem und seiner dritten
Gemahlin Wappen. Jedenfalls durch Schultheiss
Heinrich Fleckenstein später aufgefrischt
wurden die Relief-Helmzier und
Schildbilder entfernt und mit dessen Allianzwappen
bemalt. Am abgerundeten erhabenen
Übergang der Helmzierde zum flachen aufgemalten
Flug der Fleckenstein konstatiert
man den untern Rest der weggeschnitzten,
federgeschmückten Zipfelmütze der Herten-
steinschen Zierde. Dieser Ölberg war ehemals
Epitaph genannter III. Frau, in der
hl. Grabkapelle der 1633 abgebrannten Hofkirche
.
Über das Hertensteinsche Haus existiert
verschiedene kunst- und kulturgeschichtliche
Literatur. Wir verweisen auf Dr. Th. von
Liebenau, Luzern: „HansHolbein d. J., Fresken
am Hertensteinhause in Luzern 1888",
und auf die ganz hervorragende Rekon-
struktionsarbeit vom Holbeinkenner Herrn
Professor H. A. Schmid, Direktor der öffentlichen
Kunstsammlungen in Basel: „Die
Malereien H. Holbeins d. J. am Hertensteinhause
in Luzern", in dem Jahrbuch der
königl. preussischen Kunstsammlungen 1913,
Heft III.
Noch bestand zu Anfang des Jahrhunderts
der grössere Teil der Privathäuser aus Holz
und vermehrte Brände führten intensiver
zum Steinbau. So entstanden in der mehreren
Stadt teilweise die Häuserblöcke der
Kapellgasse — Eisengasse, Schlossergasse —
Gerwergasse, Kapellplatz, Mühlenplatz und
Weinmarkt. Um 1550 verheerte der Brand
die Häusergruppe des nachmaligen „neuen
Platzes", heutigen Hirschenplatzes. (Letzter
Name vom dortigen Gasthause.) Das engere
Gassenwirrsal verschwand durch Erweiterung
des Platzes, der mit einem 327 Kubik-
schuh haltenden Brunnenbecken seinen
Schmuck erhielt. Im gleichen Zeiträume entstanden
am Hirschenplatze das Haus Flek-
kenstein (jetzt Göldlinsches Fideikommiss)
und in der Weggisgasse 1594 die Häuser
Landvogt Wilhelm Keyser und Ratsherr
Nikiaus Krus (jetzt beide HH. Gebr. Grä-
nicher gehörend). Das Brandmauerdokument
der beiden Häuser lautet bezüglich der Kommunalunterstützung
wörtlich: „Wie ouch den
murrlon was sich derselbig von diser Scheidmuren
angeloffen über die abgezogen buw-
stürr dess Münzguldins so vnser gnädig Herren
für jedes Klafter Muren daran gestürt, ab-
gefertiget und über sich genommen" etc.
Bei einem dieser Häuser, Stoferhaus, stiess
man im Hinterhaus bei s. Z. Umbau auf
die Fundation eines in Bruchsteinmauerwerk
und Tuff erstellten früheren Rundturmes
, zweifellos der Löwengrabenbefesti-
gung angehörend. Die Hinterhäuser der
innern Weggisgasse und der Rössligasse bis
zum Mühletor fussen mit ihren Mauerfronten
auf der Löwengrabenfestungslinie.
Auf dem Kapellplatz erhob sich 1532 an
Stelle des 1271 erwähnten, 1340 abgebrannten
und ersetzten, und 1531 geschlissenen Engel-
berger Schirmhauses, dessen Neubau. Dieser
Bauperiode gehören auch teilweise die Steinhäuser
längs der Furrengasse an.
Vis-ä-vis dem Hertensteinhause, am Kapellplatze
, hatte sich der luzernische Gerichtsschreiber
Martin Schryber niedergelassen.
1509—1531 ist er Besitzer dieses jetzt Will-
XVII
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