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Stadt. Wie die Ausgrabungen im Welsch-
dörfli gezeigt, wurde zwar in dieser Epoche
auch noch hier auf römischen Mauern weitergebaut
, aber mehr und mehr verschob sich
der Schwerpunkt. Und als die Ostgoten
Theodorichs den Franken gewichen waren,
da hatten diese keinen Grund, südlich der
Plessur zu gehen; denn sie hatten im Norden
gesichertes Land. Die Burg gab festen Halt,
und so entstand am rechten Ufer des Flusses,
Das Mittelalter- am sonnigen Hang, die frühmittelalterliche
uche chur. g{-a(|j- im einzelnen genau ihre Um-
wallung verlief, das lässt sich mit Sicherheit
nicht sagen. Denn die frühesten Abbildungen
(Titelbild, Taf. 2) zeigen nur den
Zustand nach dem ersten grossen Brand
des Jahres 1464. Auch neue Ergebnisse
haben an den Feststellungen Kinds jedoch
nichts Wesentliches geändert: dass nämlich
die nördliche Circumvallationslinie des
alten Chur ungefähr vom Karlihof beim
Freieck vorbei an der Westseite des Rathauses
und dann gegen den Pulverturm
(Malteserturm) zu lief. Der Burgflecken Chur
hatte sich also dem Flusslauf entlang hingelagert
zu beiden Seiten einer vom Markt
zum oberen Tor hinziehenden Längsverbin-
dungsstrasse. Aber ein Ansatz zur heutigen
Reichsgasse bestand doch auch damals schon
Denn unterhalb des Martinsplatzes, nahe
dem damaligen Untertor, lag die Imburg,
ein mächtig befestigtes Haus, früher eigenem
Schutz vertrauend, hernach in das Dorf Chur
hineingewachsen und vom Rathaus überbaut
. Das waren die Grenzen der Curia bis
zum Beginn des 15. Jahrhunderts, ja vielleicht
bis zum Jahre 1464.
Das Wachstum Aber Neues war bereits im Werden. Im
der neuen Stadt. westen ^es Fleckens und ausserhalb seiner
Umwallung war nach 1272 das Kloster
st. Nicolai. St. Nicolai entstanden und sollte zum Weichbild
eines ganz neuen Quartieres werden.
Die Geschichte seiner Entstehung zeigt wieder
deutlich, wie es immer die Strasse war, die
hier neue Keime anschwemmte. Bischof
Konrad III., der auch sonst einen sicheren
Blick für die Bedeutung des Verkehrs in
seiner Diözese bewies, hob in seinem Gesuch
an das Dominikaner Provinzialkapitel hervor
: Chur liege an der Septimerstrasse,
darum sei „ein Haus für die Brüder, so nach
der Lombardei reisen, notwendig", damit
„sie nicht mehr so viel wie bisher von der
Bergwanderung zu leiden hätten". Für jene
beweglichen Fratres des heiligen Dominikus,
die ihre Ordensregel nicht an einen festen
Ort band, sondern denen die ganze Welt
als Weinberg zugewiesen war, geschah also
die Klostergründung. Dass sich die Rompilger
, die neben den Kaufleuten damals
besonders die Strassen bevölkerten, den
„Fratres Prädicatores", die als „Leuchte
aller Orden" galten, gerne anschlössen, bedarf
keiner Erwähnung. Aber auch die Kaufleute
fanden sich zu diesen weitgereisten,
weissgewandeten Brüdern, und dass das
Kloster dies in seinem klugen Plan wohl
vorgesehen, zeigt deutlich die Wahl des
Patrons. Denn der heilige Nikolaus war seit
den Kreuzzügen zum Schirmherren aller
Fahrenden geworden, der Kaufleute, Wanderer
und Flösser. Ihm wurde der Hauptaltar
in der Klosterkirche geweiht, und die
ganze Niederlassung trug seinen Namen.
Nicht zum Nachteil seiner irdischen Güter.
Denn zahlreich waren bald die Vergabungen,
und wie sehr das Kloster zu einem Sammelpunkt
aller Händler geworden, zeigt die
Errichtung einer Brüderschaft von Kaufleuten
„aus allen Teilen der Welt" bei
St. Nicolai unter der Regierung des Bischofs
Ortlieb von Brandis (1483).
Die Entstehung von neuen Stadtgebieten Die Kerne der
•i ... i ti -i . t TTiT neuen Quartiere:
geht ahnlich vor sich wie die Bildung von St. Nicolai und
Tropfsteinformen, wo um irgendeinen Kern, die mfe-
eine vorstehende Zacke, einen Ast das kalkführende
Wasser fliesst und langsam Schicht
um Schicht zurücklässt. So flutet um Weichbilder
, wie hier St. Nicolai eines war, der
Verkehr, lässt seine Rückstände zurück,
und bald ist ein neuer Stadtteil Ring um
Ring gewachsen. Fremdenhäuser erstehen
im Mauerverband des Klosters, um die Gäste
zu bergen, Händler siedeln sich an, Schenken
öffnen sich dem Wanderer, und nicht ohne
Bedeutung war endlich, dass die Ordensregel
dem Dominikaner Handarbeit untersagte
. Deshalb gab es Verdienst für fremde
Kräfte, Handwerker, Bauern und Rebleute,
die sich bald um das Kloster schlössen, und
so wurde St. Nicolai zum Kern dieses ganzen
Quartiers.
Wie aber lagen die Dinge vor der unteren
Pforte gegen Clavutz (beim jetzigen „Freieck
")? Auch hier war geistlicher Einfluss
am Werk, doch so richtunggebend wie im
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