Augustinermuseum Freiburg i. Br., B 933/14
Das Bürgerhaus in der Schweiz (14. Band): Das Bürgerhaus im Kanton Graubünden, 2. Teil: Nördliche Talschaften A
Zürich, 1924
Seite: XIII
(PDF, 25 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Varia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Public Domain Mark 1.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_14_1924/0015
Die gotische Um den Geist der Strasse des damaligen
Chur ahnen zu können, ist es nicht nötig,
nach Abbildungen zu suchen. Denn im Wesentlichen
, in der ausschlaggebenden Konzeption
der städtebaulichen Anlage, zeigt
auch heute noch ein Strassenbild, wie es
etwa die Einmündung der Reichsgasse in
den Martinsplatz gibt, worin der Reiz des
gotischen Stadtinterieurs ruhte (Tafel 4).

Damals empfand der Bürger viel mehr
als heute den Gegensatz zwischen der offenen
Landstrasse und der umschlossenen Stadt.
Draussen waren Gefahren, Zufälle, hier Geborgenheit
. Und das drückt die Gasse aus
in dieser Epoche. Nicht nur, dass sie, zwischen
hohen Häusern eng gepresst, widerwillig
nur ein schmales Band Himmel frei
lässt, sie mündet auch nie ins Leere, sondern
gekrümmt, abgebogen, manchmal auch
unbekümmert über Terrainerhebungen weitergeführt
, teilt sie sich immer wieder in
einzelne Raumabschnitte, die manchmal in
sanftem Übergang, manchmal unvermutet
sich eröffnen. So wird die Bewegung der
Strasse immer wieder weiter gelockt, bis sie
in einem Platz sich sammelt. Im Churer
Stadtgrundriss nun wurde, wie wir sahen,
sinnvoll der Martinsplatz zum Gelenk der
ganzen Anlage, in dem die Hauptlinien, die
obere Gasse und die Reichsgasse, trafen. Der
Platz war also das natürliche Sammelbecken
des Verkehrs, der Markt; er wurde aber
auch räumlich-architektonisch das Herzstück
der eigentlichen Stadt.

Heute noch ist dies erkennbar. Wer am
Rathaus vorbei sich St. Martin nähert,
sieht sich in enger, dämmeriger Gasse in
leichtem Bogen geführt, der ihm nicht nur
den Blick auf die Kirche, sondern auch auf
den Platz zunächst verwehrt. Kurz vor dem
Platz nun springt rechts ein Haus mit Erker
vor und gibt der Strasse, die schon in den
freieren Raum auszulaufen verlangt, eine
letzte Hemmung, biegt die Bewegung links
ab und verstärkt mit diesem unerwarteten
Widerstand ihre Spannung. Ein kleiner Vorplatz
entsteht dadurch, hinter dem endlich,
mächtig emporschnellend, Turm und Kirche
frei wird. Die Bewegung schiesst am Turm
empor, um langsam wieder abzufHessen,
zuerst über den Hochgiebel des Kirchenschiffes
, dann über die niederen der rückwärtigen
Häuser, und verrinnt langsam und

nun schon beruhigt durch den dunklen Bogen
des Bärenlochs. Bei der Einmündung der
oberen Gasse ereignet sich ähnliches. So
wird der Martinsplatz ein Sammelbecken
des Raumes und erhält dadurch seinen besonderen
Reiz.

Eine alte Brunnenstelleist hier. Vielleicht
war es früher nur ein ganz einfacher Nutzbrunnen
, aber schon zu Campells Zeiten
sprang aus einem mit marmorner Statue
gezierten Schaft in vielen Mündungen das
Wasser in das Becken und gab dem Platz
auch das nachts nicht ruhende Lied. Nicht
exponiert mitten auf den Platz stellte man
ihn auf, sondern klug so in die Ecke gerückt,
dass derVerkehran ihm vorbeifliessen konnte,
ohne die schöpfenden Frauen an ihrem allabendlichen
Sammelplatz zu stören. So gelangte
dies einzige Zierstück der Strasse
zugleich in nahen räumlichen Verband mit
der Kirche.

Bei diesem Platzbild noch ein wenig zu Die gotische
verweilen ist deshalb nicht ohne Gewinn, Fassade-
weil es auch heute noch den Bürgerhaustypus
ziemlich rein zeigt, wie er sich bald
nach der Feuersbrunst von 1464 ausgebildet
haben muss (Tafel 11 und 12): ein hoher,
aber nicht allzu engbrüstiger Baukörper,
horizontal gegliedert durch gekehlte Gesimse
und mit Reihenfenstern durchbrochen. Die
Fenstergewände sind aus Stein, dem dauerhaften
guten Schiefer aus dem Scaleratobel,
und ähnlich profiliert wie die Gurten. Ein
Giebel in Dreiecksform krönt die Fassade,
ist jedoch von mässigem Gefälle und nicht
so steil gespitzt wie in nördlichen Ländern.
Überhaupt zeigt sich am ganzen Äusseren,
an einer leisen Zurückhaltung in der Auflösung
der Wand und einer gewissen Dichtigkeit
ein Rest von Schwere und Massengefühl
. Die Erker lösen sich, meist stumpfe
Winkelmit der Wand bildend, nur zögernd aus
der Mauer, in ihrer prismatischen zweiseitigen
oder manchmal dreiseitigen Form jener
im Oberengadin eingebürgerten nahe verwandt
. Wenig vorspringend, mit kurzem
Fuss und stumpfer Bedachung, variieren
Planaterra, Haus Coaz-Wassali, der hintere
Türligarten und viele andere diesen Typ,
der lange festgehalten wird und aus der
spätgotischen Übergangszeit weit in die
Renaissance hineinreicht, wie der obere Spa-
niöl und die Schneiderzunft zeigen (Tafel 15).

XIII


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_14_1924/0015