Augustinermuseum Freiburg i. Br., B 933/14
Das Bürgerhaus in der Schweiz (14. Band): Das Bürgerhaus im Kanton Graubünden, 2. Teil: Nördliche Talschaften A
Zürich, 1924
Seite: XVII
(PDF, 25 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_14_1924/0019
der Erfindung zwar nicht dem Haldensteiner
Täfer ebenbürtig-, aber doch auf lange Zeit
ohne Beispiel in der Stadt selbst ist die
Menhardtsche Stube (jetzt Bürgerratsstube)
nicht wie das Prunkstück der Gotik, das
Antistitium, von kirchenfürstlichen Gnaden,
auch nicht feudaler Herkunft, sondern
stammt von einem Glied bürgerlichen Bats-
geschlechtes. Es ist ein edles Werk reiner
Benaissancegesinnung. Die Decke kassettiert
ohne Bichtungstendenz, beherrscht von symmetrisch
verteilten Kreisen, die mit hoch-
geschnitzten Zapfenrosetten gefüllt sind. Die
Wand wird von den Brunkstücken beherrscht
, den Türumrahmungen mit kannelierten
Säulen und frei aufgesetzten Supraporten
, dem Gießfaßschrank mit bekrönenden
Delphinvoluten und flachen, klassisch
proportionierten Pilastern. Im übrigen ist
sie' gegliedert mit Lisenen und flach aufgelegten
Bogen und belebt von eingelegtem
Blattwerk. Diese Intarsien überziehen den
ganzen Grund, sind in zurückhaltenden
Tönungen, besonders in dunklem Grün und
Braun abgestuft und beleben die Fläche
ohne sie zu zerstören. In den Fensternischen
aber verlässt die Einlegearbeit die ornamentale
Bindung und ergeht sich in den
pittoresken Architekturmotiven, die jene Zeit
so sehr liebte. In edlen Hölzern ausgeführt,
spricht alles von einem gewählten, besonnenen
Beichtum, ist nicht üppig, aber repräsentativ
, gebunden von wohl erwogenen
Maßen eines tektonisch denkenden Geistes.

Die einfach geometrisch geteilten Kassetten
werden nun allgemein, wenn man
die Decken reicher wollte; zunächst immer
noch ohne Konzentration um ein Mittelstück
, manchmal am Gebälk verziert mit
aufgelegten Laubsägeornamenten (Tafel 21),
manchmal die Füllungen mit einfachem
Sternmuster inkrustiert. Unter der Decke
läuft häufig ein Fries mit Triglyphen oder
geschnitzten Konsolen, und die Türgewände
ahmen Portale nach, mit Pilastern und Verdachungen
oder eingelegten, mit geschnitzten
Fratzen geschmückten Architraven. Wir er-
Die leben hier das gleiche wie in den südlichen
RefasTadT' Talschaften: die Benaissance ist fast ausschliesslich
eine Angelegenheit der Innendekoration
. Und wirklich nicht zufälligermaßen
, sondern durchaus dem Empfindungsleben
des Volkes gemäss. Denn das grosse

Ereignis der italienischen „Wiedergeburt",
die Entdeckung, dass das Haus nicht nur
Bäume umschliesse, sondern mit Platz,
Strasse und Garten auch nach aussen hin
Bäume bilde, dass eine Fassade also ihre
eigene Bhythmik haben müsse, das war nicht
nur eine Angelegenheit der Architektur
allein. Es war ein Zeichen für das Erwachen
des mittelalterlichen Menschen zu einer freien
und ungeängstigten Auffassung der Natur
und der ganzen Welt überhaupt, zu einem
neuen kosmopolitischen Zustand, dem die
ganze Welt zur Heimat wurde. In die
Sprache der Architektur übersetzt bedeutete
dies, dass das Haus nun gleichsam aus sich
heraus trat, indem es die Fassade auszubilden
begann. Diese grossartige Geste aber
konnte nicht Sache des Bündner Bürgers
sein, selbst wo ihm neuer Wohlstand die
Mittel gab. Das lag an einer Eigenart seines
Empfindens, von der in anderem Zusammenhang
bereits die Bede war. Zwar war die
Welt damals vielen Bündnern schon Heimat,
aber jede Vermischung von Heim und Welt,
jede Darstellung des persönlichen Lebens
nach aussen, wie sie die individualistische
Auffassung der Benaissance ausbildete, war
etwas, das ihm im Innersten widerstrebte.
Was vielen schon auffiel, die seltsame Verquickung
von bürgerlicher Enge und Weltklugheit
, hat darin, in dieser ängstlich festgehaltenen
, säuberlichen Scheidung von
draussen und drinnen den tiefsten Grund.

Was aber das Bistum anlangt, das zur
Pflege italienisch-römischen Kontaktes doch
besonders berufen war, so war es um seine
Finanzen nicht gut bestellt. Denn als
Johann VI. Flugi im Jahre 1636 zum Bischof
gewählt wurde und ihm in der päpstlichen
Bestätigungsbulle die Verpflichtung zur
Bestauration des Schlosses auferlegt worden
war, da befand sich der Bischofssitz in so
desolatem Zustand, dass im halbzerfallenen
Turm die Vögel, im Garten die Schlangen
nisteten und „der geringste Bürger von Chur
eine bessere Wohnung hatte als der Bischof."

Wenn also der Sinn für Ausbildung der Natur- und
Fassade noch unentwickelt bleibt, sich am
Schmuck des Portals mit Verdachung und
Wappen, mit Halbsäulen oder Pilastern genügen
lässt, so spürt man doch an andern
Merkmalen leise den neuen Geist. Die Stadt
wird allmählich zu eng. Schon mehr als

Raumsinn.

XVII


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