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diesen beiden Bauten, dem Schloss Salenegg
und dem Marschall-Haus, die Exponenten
zweier gegeneinander und ineinanderflies-
sender Strömungen erscheinen, von denen
die Bauweise dieses Gebietes überhaupt getragen
ist, das soll eine nähere Betrachtung
klären.
Am mächtigen Rücken des Marschallhauses
erkennt man seinen muskulösen Körper
. Der Eindruck der Rückseite des Baues
(Tafel 64) ist um so stärker, als hier nur
wenige, weit auseinanderliegende Fenster die
Wand durchbrechen. Überhaupt ist, etwa im
Vergleich mit dem unteren Schloss in Zizers,
ja um nicht so weit zu greifen, auch mit
Salenegg, die Fenstergrösse sehr bescheiden
und zeigt eine ganz ausgesprochene Neigung
für die ungelockerte Wand. An der Hauptfront
(Tafel 64) ist mit einem unauffälligen
Griff die trotzige Geste des Hauses noch
stark betont: der Abstand zwischen den
Erdgeschossfenstern und jenen des ersten
Stockes nämlich ist besonders gross, und
die an sich kleinere Distanz zwischen den
oberen Reihen wird durch Einschiebung
einer Verdachung auch noch verkürzt. Das
gibt dem Hause einen breit dastehenden,
stämmigen Unterkörper, etwas burgartig
Schweres und Strenges. Das Dach schliesst
ohne Vorsprung ab und lässt dem Giebelfeld
eine freie Stirn. Alles ist kubisch fest
zusammengeschlossen und auch der Seitenturm
fügt sich in die Masse ein, da das
Dach ihn überragt.
Gewölbe in diesem Hause anzutreffen,
einen breiten, durch das Haus in der Richtung
des Firstes laufenden Korridor mit vorgezogenen
gekreuzten Gräten, einen Saal
gleich rechts beim Eingang, mit grossem
Kamin von einer Stuckhaube bekrönt und
mit Allianzwappen geziert (Tafel 66), nichts
anderes hat man erwartet. Die Erinnerungen
sind längst wach geworden, die Beziehungen
lebendig, und alle weisen in die ennetbir-
gischen Bezirke. Der Suler, in Firstrichtung
durch das Haus laufend, erscheint
flüchtig wie alle die Saletten im Engadin
und von Casaccia bis nach Soglio. In den
Stuben aber lebt ein anderer Geist (Tafel
63, 65, 66). Zwar sind die Ausmaße, wenn
auch kleiner als im Buol'schen Haus, so
doch mit 3,30 m Höhe stattlich genug und
die Formenwelt der Schnitzerei, wie das
zu dieser Zeit nicht anders zu erwarten,
durchaus italienischen Geistes. Aber zeigt
der Gesamtbau die ausgesprochene Freude
am Mauerwerk, so die Täfer jene am Holz.
Nicht nur an die Schnitzereien von Türpi-
lastern und Architraven, Füllungsumrahmungen
und Kassettenwänden, die reich genug
sind, ist dabei gedacht, sondern besonders
an die Materialfreude, wie sie sich in der
sorgfältigen und differenzierten Auswahl der
verschiedensten Hölzer ausspricht. Die Füllungen
sind von lebhaft gemaserten Eschen-
und Silberpappelfournieren, zu denPilastern
musste der Nussbaum und zu den Schnitzereien
die Linde das Material geben. Und
gerade dieses Spiel der Hölzer, ihrer Tonwerte
und ihrer Maserungslinien macht den
besonderen Reiz des Täfers aus, mehr als
die architektonische Gliederung, die in dem
Verhältnis der geschmückten zu den unge-
schmückten Feldern nicht immer glücklich
ist. Wenn auch die Überlieferung, diese
Täfer habe ein Glarner Schreiner gearbeitet,
nicht zutreffen sollte, so ist doch jedenfalls
gewiss, dass wir den Meister nicht südlich,
sondern nördlich, im Gebiet deutschen Stammes
suchen müssen.
Dieses Haus lag zwar vor dem Tor des schloss
Städtchens, aber räumlich mit ihm noch in Salenezs-
nahem Verband, da das Gebiet zwischen
ihm und der Ringmauer schon zur Zeit seiner
Entstehung gut bebaut war. Seine Silhouette
floss also in die Stadtumrisse über. Anders
ist es mit Salenegg (Tafel 67—75). Nur lose
ist hier noch die Verbindung mit der Mayenfelder
Umfriedung. Wir sind zum erstenmal
ganz ausserhalb städtischer Mauern. Dieser
ländliche Sitz liegt frei inmitten eigenen Grundes
auf weitausschauender Anhöhe, vor sich
die sanfte Senkung der Weinhalden, im
Rücken Felder, Obstgärten und den Berg.
Wenn irgendwo jenes kaum Fassbare und Einfluss der
Flüchtige, das wir auch beim Engadiner Haus LandschafL
am Werke sahen und den Geist der Landschaft
nannten, sich einen architektonischen
Leib schaffen konnte, so musste es hier sein,
wo das ganze Tal so ohne alle geheimen
Vorbehalte, so willig offen daliegt und alle
Aromen des Bodens den Bau umspülen.
Wir haben schon mehrere Male die Vielgestalt
der bündnerischen Bauweise in dem
Gegeneinanderfliessen verschiedengerichteter
kultureller Strömungen begründet ge-
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