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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_16_1925/0019
sondern die Achse des Ganges aufnimmt und
dadurch im Hausinnern eine einheitlich fort-
fliessende Raumbewegung schafft. Das prinzipiell
Eigenartige aber liegt in Dingen, die
wir mit der Schilderung dieser Stuckarbeiten
bereits berührt haben. Es ist das Verhältnis
zum Schmuck. Und es ist wieder nicht nur
ein Dekorationsbedürfnis, was sich hier ausspricht
, sondern es ist ein anderes freieres
Verhältnis zum Baukörper überhaupt. Wir
streifen hier nochmals die Gedankengänge,
die sich bei der Betrachtung der Oberländer
Dächer einstellten: der Baukörper wird hier
als beweglicher, als spezifisch leichter, als
bildsamer empfunden. Um dies noch klarer zu
machen darf man vielleicht noch einmal an
das Engadiner Haus denken. Dort sind wir
dem primitiven Aufeinandertürmen von Blökken
noch sehr nahe, erleben aber immerhin
schon die Bewegung dieser klobigen Masse
im Gewölb. Diese Vorgänge bleiben jedoch
gleichsam im Gebiete der anorganischen
Natur, des Steines. Hier aber empfindet man
den Bau schon als Gebilde, das Äste treiben
und sich mit Blume und Laub schmücken
kann. Wir haben im ganzen Gebiet der Bünde
keinen Erker wie den an der „Casa gronda".
Er wächst aus Stein, aus dem heimischen
Serpentin, dreiseitig aus einer Kante des
Hauskörpers heraus, ist jedoch ganz belebt,
über und über mit Bildhauerarbeit damas-
ziert, „geschnitzt" darf man sagen, bekleidet
mit Fruchtgirlanden, grossen achtblättrigen
Rosen, Blattwedeln und Laubbändern. Er
bildet aber kein isoliertes Dekorationsstück.
Über den Nebentüren und Fenstern sitzen als
kleine,heitere Pointen gemeisselte Giebelchen
mit Blattornamenten und Halbfiguren und
vor allem das Portal hält dem Erkerschmuck
Balance. Bis in Einzelheiten des Aufbaues,
der Teilungen und Ornamentik zeigt es die
gleiche Hand, die am Capol'schen Schlössli
in Flims die Türumrahmung gearbeitet. Hier
wie dort erkennen wir das Bestreben, die
Gruppe von Türe, Oberlicht, Verdachung,
Wappentafel und Fenster zu einer fast fugenlosen
Einheit zusammenzuschliessen, eine
grosse Umrisslinie also um diese Einzelbestandteile
zu legen, die ganze Gruppe aber in
den Binuenformen durch die Teilung der
Rustikaquadern und die Steinhauerarbeit von
Wappen und Schmuckrahmen reich durchzubilden
.

Nirgends griff wohl die Entfernung der
Täfer so tief in das Leben eines Baues als gerade
hier, wo der Schmuck organischer Bestandteil
des Hauses ist. Wollen wir daher
von dem, was mit diesem Haus beabsichtigt
war, ein auch nur ungefähres Bild gewinnen,
so müssen wir versuchen, einen Augenblick
zusammenzusehen, was nun zerstreut ist. Die
Täfer, die in den oberen Stockwerken hier die
Wände zierten, gehören heute zu den seltenen
Schätzen des Landes; denn sind sie auch nicht
mehr an Ort und Stelle, so sind sie doch nicht
ausserhalb Graubündens, sondern vorzüglich
konserviert in den Schlössern Ortenstein und
Marschlins sowie in der Villa Dr. Bernhard
in St. Moritz eingefügt. Das Erkerzimmer in
Marschlins und die kleinere Stube bei Dr.
Bernhard stammen von dem gleichen Meister
und wurden wohl bald nach der Errichtung
des Hauses angefertigt, während die Orten-
steiner Stube einige Jahrzehnte später angesetzt
werden muss (Tafel 15 — 17). Was sie
trennt, trennt die Epochen. Barocker Elemente
ungeachtet, wie die Orientierung der
Decke auf ein beherrschendes Mittelfeld,
stehen die Täfer von Marschlins und St. Moritz
doch dem Renaissanceempfinden näher
als jenes von Ortenstein. Sie achten mehr auf
die unzerstörte Einheit der Fläche, zielen auf
die feinen Wirkungen der Zierlichkeit und
gefallen sich in zart ausschwingenden Ranken
, dünn und leicht mit hellerem Ton auf
Dunkel aufgelegt; sie wirken mit dem feinen
Reiz kluger Teilungen, legen die Pilaster flach
auf die Wand und begnügen sich bei den
Türfüllungen mit dem unterschiedenen Tonwert
der Hölzer, anstatt die Felder einzutiefen.
Das Ganze entzückt durch Klarheit und Ruhe
mehr als durch Fülle, durch die Schönheit
blanker Flächen mehr als durch Wechsel von
Schatten und Reflex. Die Ortensteiner Stube
ist rauschender und üppiger. Hier wird die
Wand nicht von Hermen geteilt, deren
Schnitzerei, wie bei der Marschlinser Stube,
flach mit den Kanten in gleicher Ebene liegt,
sondern es schwellen die Pilaster in der Form
gewellter und gewundener Halbsäulen aus
der Wand, ja es stehen zu beiden Seiten der
Türe schraubenförmige, mit Laub umrankte
Säulenpaare frei vor der Fläche. Die Deckplatten
ihrer Kapitale sind kühn herausgewölbt
, die Supraporte liegt, voll und rund
geschnitzt, hohl auf der Wand, deren Füllun-

xvn


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