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„scmössw gen sie unbekümmert überschneidet. Statt
1 Flims- zarter Ranken sieht man überall feiste Blattwedel
und pralle Trauben hoch heraus modelliert
. Auf dem Deckengebälk liegen kolbenartige
Pflanzengebilde und schwere Kassetten
ordnen sich um zwei Mittelfelder, die
in prunkvoller Umrahmung die Wappen der
Familien-Allianz und der Niederlande tragen,
in deren Dienst Christoffel Schmid von Grüneck
seinen Namen mit Glanz umgab.
Nicht nur der gleiche Steinmetz arbeitete
an der „Casa gronda" und am Capol'schen
Schlössli in Flims, wir werden aus der Art
des Gewölbes, der Dimensionierung der unteren
Räume und der Bildung von Dach und
Turm wohl auch auf den gleichen Baumeister
schliessen dürfen. Um so schwerer war es
diesem nur einige Jahre jüngeren Capol-
schen Sitz gemacht, neben dem so nahen
Ilanzer Nachbarn zu bestehen. Aber dem
Haus Gaudenz von Capol gelang das Gute,
weil es ihm um Rivalität nicht zu tun war.
Im Turmknauf des von ihm neu gebauten
Schlosses von Tagstein hatte er den halb
selbstbewussten, halb bescheidenen Spruch
hinterlegt: „Wer etwas Besseres bauen will,
der tue es und schweige still." Und baute er
in Flims nichts Besseres als sein Herr Vetter
in Ilanz, so doch etwas Eigenes (Tafel 37-45).
Das Eigene ist vor allem die Raumanordnung
, jener glückliche Einfall, durch den es
möglich war, den Wohn- und Repräsentationszweck
nahtlos zu verschmelzen, aus
Schloss und bescheiden bürgerlichem Wohnhaus
einen einzigen Bau zu machen. Die Idee
ist überraschend einfach und im Grunde
nichts anderes als die grosse Übersetzung
des Engadinerhauses. Der Korridor wurde
zu einer Eingangshalle ausgeweitet und emporgetrieben
. An der einen (der westlichen
Seite) liegen nur zwei Räume, die schöne
Stube von mächtigen Dimensionen und eine
Küche, hoch gewölbt wie eine Kirche. Der
Scheitel dieses Gewölbes liegt in gleicher
Ebene mit jenem der Halle, indes die Höhe
der Stube durch eine Zwischendecke ein weniges
verringert ist. In dem Trakt jenseits
des Vestibüls aber, dem eigentlichen Wohntrakt
, ist ein Zwischenstock eingefügt, der
durch eine interne, in einen Schrank ausmündende
Treppe von den unteren Wohnräumen
aus direkt erreicht werden kann.
Auf zwei Geschosse westlich der Halle treffen
also drei an ihrer östlichen Seite. Die Stuben
des östlichen Traktes nun sind nicht nur niederer
als die Räume jenseits des Vestibüls,
sie sind auch kleiner, da nicht wie dort zwei,
sondern drei in jedem Stockwerk liegen. Gut
getäfert und klein dimensioniert, sind sie
leicht erwärmbar und von behaglicher Wohnlichkeit
.
Im Erdgeschoss des westlichen Traktes
liegt, ganz in Anlehnung an die Gepflogenheiten
in den anderen Sitzen dieser Zeit, die
gewölbte Saletta, der Gartensaal, mit wulstigen
Stuckprofilen und einem mythologischen
Gemälde im Mittelfeld der Decke. Da-
über aber befindet sich die grosse Stube,
der jenes Täfer zugehörte, das — nun nach
New-York verschlagen — unter den Barock-
täfern des Landes den Rang in Anspruch
nehmen durfte, den die Haldensteiner Stube
in ihrer Zeit behauptete. Konnten wir schon
bei dem Ortensteiner Zimmer im Vergleich
mit dem Marschlinser Täfer das Bestrebeu
bemerken, die Einheit der Fläche zu brechen,
so ist die Arbeit in Flims (obwohl sie früher
enstand) in der Auflösung der Wand noch
weiter gegangen. Nicht nur, dass es hier die
Wandpilaster den Portalsäulen gleich tun
und vollkörperlich in einer zopfartig geflochtenen
und in Büsten endenden Form vor
die Fläche treten, sie stehen auch nicht mit
soliden Sockeln auf dem Boden auf, sondern
schnellen sich mit hohl geschnitzten Voluten
aus der Wand heraus. Ebenso werden die
Türken, Mohren, männlichen und weiblichen
Halbfiguren, die als Karyatiden das Kranzgesims
tragen, auf Hermen mit Roll werk aus
der Fläche getrieben. Das eigentlich Malerische
und Untektonische des Ganzen aber
liegt darin, dass die sehr reiche Schnitzerei
keine grossflächige Muskulatur aufweist, sondern
in einer ganz besonderen Art, in einem
System von kleinen Buckeln herausgearbeitet
ist, wie man dies wohl beim Treiben von Metall
liebt. Dies ergibt ein Netz von Reflexen,
ein Gewebe von Lichtpunkten, einen wenig
statischen Anblick also im Grunde, aber auch
den Eindruck von Bewegtheit und Leben.
Wie denn überhaupt der Blick und die Neigung
für die Formenfülle der Natur die Arbeit
auszeichnet. Mit den landläufigen Blatt-
und Rankenornamenten begnügte man sich
nicht; in dem Geschlinge des Kranzgesimses
spielen Putten, die auch über dem Flach-
xvm
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