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ben, in der gesamten Konzeption, die nirgends
etwas Zerfliessendes hat, sondern klar und
ruhig die Räume als selbständige, in sich
gültige Werte nebeneinander ordnet, ist die
ganze Objektivität des lateinischen Geistes.
Will man wissen, was Plastik des architektonischen
Körpers ist, so mag man auf die
Gestalt dieses Baues sehen. Er steht gedrungen
und unbewegt vor den andringenden
Raumfluten des Talbeckens da, in dessen
Längsachse er aufgebaut ist. Die Wölbungen
in der Halle und im Gartensaal sind nicht
verflüchtigte Masse, sind nicht gleichsam zu
einer dünnen Haut geworden, wie es im süddeutschen
Barock zu dieser Zeit schon geschah
, sondern sie sind noch Hohlräume in
einem Körper. Auch der Garten löst sich nicht
auf in die freie Natur, er ist ein in sich beschlossener
, aus dem Ungeordneten herausgehobener
Organismus. Die Hauptachse läuft
— so viel ist auch heute noch zu erkennen —
vom Gartensaal über ein Rundbecken zum
Hang, teilt sich dort in zwei Treppen, die
nach einem Podest greifen, und vereinigt sich
mit zwei gegeneinander steigenden Läufen
dann auf der obersten Terrasse. Das Geöffnete
wird also geschlossen und kehrt in sich selbst
zurück. Diesen Sitz des piemontesischen Obersten
Donats kennt man noch heute unter dem
Namen des „Palazzo". Er trägt seine italienische
Bezeichnung mit Recht.
Lenzerheide und Schanfigg.
obemaz und Südlich des Passes der Lenzer Heide oder
— was uns, da wir eben aus dem Domleschg
kommen, — näher liegt, jenseits des Schyn
stehen wir schon im Bereich der strengen
Atmosphäre der innerrätischen Talschaften.
In diesem, dem Flussgebiet der Albula gehörenden
Talraum zwischen Schyn und Ber-
güner Stein ist auch für die rätoromanische
Bauweise ein Mischbecken geschaffen, in dem
die allmähliche Auflösung der klaren und
konzentrierten Form des Engadiner Hauses
vor sich geht. Konnten wir Filisur und Ber-
gün noch ganz als engadinisches Vorwerk
betrachten, in dem allerdings in den Ausmaßen
die Wucht des Engadiner Hauses
nirgends mehr erreicht wird, so ist bei den
bürgerlichen Bauten, die wir in Obervaz und
Lenz treffen, (das Haus Deflorin dort und das
Beeli'sche Haus hier, Tafel 75, 77—80) schon
der entscheidende Schnitt gemacht, der Haus
und Stall von einander trennt. Aber ein
Grundriss wie der des Deflorin'schen Hauses
ist mit der Raumfolge: Stube, Küche, Cha-
mineda doch ganz rätoromanisch konzipiert,
und das Beeli'sche Haus stellt mit der Verlegung
der Speisekammer in den anderen
Trakt dazu nur eine Variante dar, die wir
auch im Münstertal trafen. Vor allem aber
ist das Gefühl für die Wand, die ungebrochene
Baumasse, noch lebendig und sind die Fenster
noch klein und asymmetrisch verteilt. Das
Beeli'sche Haus jedoch zeigt mit der steileren
Neigung des Daches schon eine deutliche
Tendenz, den Körper nach oben zu recken.
Der Sgraffitoschmuck, der mit der Vorstellung
vom rätischen Haus für uns eng verknüpft
ist, ist auch hier noch in guter Übung
und gerade das Deflorin'sche Haus trägt ihn
in der besten Art, mit gelblichem Verputz auf
nur wenig dunklerem Grund sehr diskret
Ton in Ton gearbeitet, um die Geschlossenheit
der Mauerfläche nicht zu stören.--
In dem Tagebuch jener venetianischen Ge- Das ..scmössu-
sandtschaft von 1492, der wir in Mayenfeld ** Parpan-
begegneten, sind bei der Rast in Parpan
Worte der Verwunderung verzeichnet, dass
die Herren hier im September noch Veilchen
pflücken konnten. Dieses Zeichen bedeutete
für jenen Reisetrupp, der dem Septimer zustrebte
, den Abschied aus der letzten geborgenen
Senkung unterhalb der Passhöhe, auf
der eine schärfere Luft nur kargen Wuchs gestattet
. Ein ähnliches, nur weniger vergängliches
Gleichnis landschaftlichen Gegensatzes
ist uns geboten, wenn wir nach jenen Häusern
von Lenz und Vaz das Buol'sche Schlössli von
Parpan betrachten (Tafel 72—78). Es wirkt
wie der erste Laubbaum nach der Welt des
Steines, ist dem ernsten, verschlossenen Gesicht
des Beeli'schen Baues gegenüber von
einer freien und heiteren Art. Das Kreuzdach,
der Dachreiter mit einer Zwiebelhaube von
ganz besonders graziösen Konturen, die
Seitengiebel mit gekerbten Stützen, der zierliche
Filigranbalkon dem Garten zu, vor
allem die Bewegtheit des Umrisses und die
helle Klugheit der Proportionen, das alles ist
ansehnlich und anmutig zugleich. In allen
Dingen ist in diesem Haus ein heiteres Maß.
Mit der Ecke ganz gegen Mittag gerichtet, ist
es so gelagert, dass die Wohnräume von der
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