http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_16_1925/0031
15. Jahrhundert eingesetzt, und Sererhard
wird wohl recht haben, wenn er meint, dass
dies „propter vicinitatem cum Germanis und
besserer Commodität zur Handlung mit den
Teutschen" geschah. Diese Tatsache der
„Nachbarschaft" wird uns auch bei der Erklärung
der Verdeutschung in der Bauweise
ausschlaggebend sein müssen. Im Norden an
die österreichischen Länder grenzend, politisch
bis 1649 unter der Herrschaft des Habsburger
Hauses, mündete sein westliches Tor
in schon früh germanisierten Bezirk. Sein
Zugang zum innerrätischen Land aber, der
über den Wolfgang und den Scaletta führte,
war von dem romanischen Gebiet seit dem
13. Jahrhundert abgeriegelt durch dieWalser-
kolonie Davos, und in walserischen Bereich
führte auch der Pfad von Conters nach Langwies
. So war dasPrätigau eigentlich eine rätoromanische
Enklave. Dazu kam als weiteres,
ebenso bedeutungsvolles Moment, dass wohl
die wichtigste Kolonisationsarbeit im Tale
der Landquart sich deswegen im Anschluss
an den deutschen Kulturkreis vollzog, weil
sie von dem Kloster St. Jakob, also von Roggenburger
Prämonstratensern ausging, die
sich bald nach dem Jahre 1200 unter dem
Schirm von Churwalden im inneren Prätigau
ansiedelten (heute Klosters).
Fideris. Dass wir auch im Bürgerbau die Wirkungen
dieser Kulturtatsachen verhältnismässig
weit zurückverfolgen können, verdanken wir
einer Gunst der Geschichte, die im Jahre 1622
— wir wissen nicht genau, durch welches
magische Zeichen gebannt — den Würgengel
gerade an Fideris vor überführte. So finden
wir in Fideriser Bauten bürgerliche Grundrisse
von hohem Alter. Wir wollen dabei
noch ganz absehen von einem merkwürdigen
Parterreraum in dem Guj an'sehen Haus (Tafel
93), der mit seinem in der Rückwand
sitzenden Fensterchen mit bogenförmiger
Leibung und geringer Lichtweite in die romanische
Stilepoche weist; denn es ist nicht
zu bestimmen, ob er dem Bürgerbau angehört
oder nicht vielmehr den Rest eines Kapellenbaues
oder eines festen Sitzes darstellt. Aber
die Anordnung der Räume in den Häusern
Gujan und Donau (Tafel 89—94) zeigen ganz
die Grundzüge der deutschgotisehen Wohnstockeinteilung
. An die Hauptstube schliesst
sich die Kammer an und diesem Trakt parallel
liegt das Vorhaus, aus dem die Küche
ausgespart ist. Diese einfache Form zeigt das
Gujan'sche Haus rein, indes das Haus Donau
eine Verdoppelung des gleichen Typs darstellt
. Eine charakteristische, von rätoromanischen
Prinzipien beeinflusste Achsendrehung
nun gibt diesen Häusern eine besondere
Nuance. Die Trennungslinie von Wohn-und
Küchentrakt läuft in der Richtung des Firstes
und dadurch rückt der Vorplatz und die in
Wendelform geführte Treppe aus dem dunklen
Hausinnern an die Front. Dies bewirkt
eine Aufhellung des Hauskernes, die zusammen
mit dem knappen und präzisen Beieinander
der Räume in behaglichem Quadrat
diesen Bauten eine warme Wohnlichkeit
verleiht.
Wurde Fideiis verschont, so kam das Un- Grusch.
glück um so schlimmer über Grüsch. Von
dem Haus des Ritters Hercules von Salis
(„Hohes Haus") blieben den Söhnen, wie
Abundius in seinem Testament sagt, „allein
die blossen und übel verbrunnenen Mauern,
ohne Tach, eisenwerk, Öfen, Gläser, Schlösser,
Behenk, Eyserne Gattern". Dieses „Tach" nun
erfuhr eine Erneuerung ganz eigener Art.
Und hier zeigt sich wieder (wie im Oberland),
dass in einem an den Holzbau gewöhnten
Gebiet der Sinn für ausdrucksvolle, ja gewagte
Dachformen lebendig ist. Diese steilen,
pittoresken Dächer der „Krone" und des
„hohen Hauses" mit den gekerbten, zu einer
Art Schmuckleiste ausgebildeten Giebelverzierungen
sind Zimmermannskünste von besonderer
Merkwürdigkeit. Im Inneren aber
finden wir, besonders in der „Krone", Holzarbeiten
von nicht gewöhnlicher Qualität,
Schnitzereien mit einer erfreulichen Mannigfaltigkeit
der Motive und mit gut berechnetem
Wechsel von ruhigeren Flächen und bewegteren
Kleinformen. Wir sehen in dem stark
eingetieften Muschelmotiv besonders die
Hand an der Arbeit, deren Werke zu gleicher
Zeit (um 1680)inKüblis (Schlössli), in Malans
und im Schwartz'schen Hause zu Chur auftreten
(Tafel 83—88).
Diese Bauten sind mit der Kühnheit ihres
Umrisses für das Ortsbild des Dorfes durchaus
bestimmend. Trotzdem bilden sie nicht den
reinsten Ausdruck der Salis'schen Bautätigkeit
in Grüsch. Gute Einzelheiten täuschen
nicht darüber hinweg, dass die „Krone" aus
zwei Etappen stammt, die nicht nahtlos verwachsen
sind, und dem „hohen Haus" fehlt
XXIX
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_buergerhaus_16_1925/0031