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Zur Beurteilung der Antike,
MODERNE Künstler, die neue Bahnen einschlagen
,pflegen auf heftigen Widerstand zu stossen,
sowohl von seiten der älteren Zunftgenossen als der
grossen Masse der ersten Beschauer oder Hörer —
denn dieselbe Erfahrung wiederholt sich auf allen
Kunstgebieten. Je gewaltiger
und grösser
die plötzliche neue
Erscheinung ist, um so
heftiger tobt der Stur m
der Entrüstung und
des Hohnes; denn die
Masse derer, die sich
für kunstverständig
halten, will nur sehen
und verstehen, was ihr
altbekannt und wohlvertraut
ist Das ist
stets so gewesen und
wird stets so sein und
ebenso wird die tröstliche
Erfahrung bestehen
bleiben, dass
wahre Genialität über
kurz oder lang Gegenwart
und Zukunft zu
1S ew Linderung, Verehrung
und Liebe
zwingt. Dagegen pflegen Kunstwerke, die aus
früheren Zeiten zu uns herüber gerettet sind, mit
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einer ehrfürchtigen Scheu betrachtet zu werden, und
die seit den Zeiten der Renaissance überkommene
gleichmässige Bew underung eines jeden Uebcrbleibsels
der griechischen und römischen Kunst ist geradezu
ein Hindernis ernsthaften und eindringenden Ver-
stündnisses geworden.
Einmal aber hat sich um den Wert oder Unwert
griechischer Bildhauerwerke ein Streit der
Meinungen in gleicher Heftigkeit erhoben, wie wir
ihn über die Berechtigung von Manets Bildern
haben führen sehen —, als Lord Elgin die Skulpturen
vom Parthenon
in London ausstellte.
Neun Jahre vergingen',
bis dieser Streit um
die ein paar Jahrlausende
alten athenischen
Bildwerke aus-
gefochten
war, die
seitdem den Mittelpunkt
der griechischen
K unstgeschichte bilden
. War es so
schwer, ihre
sieg-
Mctope von der Südseite des Parthenon.
London, British Museum. Marmor, h. 1.20.
halte Schönheit zu
erkennen ? Sie wichen
ab von dem, was man
bis dahin von antiker
Knust kannte und als
echte Antike zu betrachten
gewohnt war.
Die begeisterten Lobsprüche
einer
ausgezeichneter
Reih«
englischer
Künstler reichten nicht aus, um die öffentliche
Meinung und die Meinung der massgebenden
Kreise zu leiten. Man wandte sich an den
berühmtesten Bildhauer der Zeit, Canova, und an
den berühmtesten Archäologen, E. Q. Visconti. Ihr
übereinstimmendes Urteil entschied den Sieg. Aber
auch aus ihren Aeusserungen klingt zugleich mit
der rückhaltlosen Bewunderung das Erstaunen
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