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Mantegna, Der Triumph des Scipio. London, National Gallery.
Andrea Mantegna.
(1431—1506.)
s
Bronzebüste des Mantegna
Mantua, S. Andrea.
ollte man ein Kunstwerk
nennen, das den
Geist der italienischen Frührenaissance
und seiner Kunst
versinnbildlichen, das ge-
wissermassen als figürliches
Motto, als Titelbild einer
Geschichte der italienischen
Kunst jener Zeit dienen
könnte, so würde man ohne
Bedenken auf Donatellos
Statue des heiligen Georg
(Museum I Taf. 72) hinweisen
können. In der That ist auch dieses überaus
eindrucksvolle Bildwerk seit der Zeit seiner Entstehung
oft genug als Charakterbild der Quattrocentokunst
gepriesen und besungen und als gewaltigster Gegensatz
dem eindringenden Barockstil gegenübergestellt
worden. Es könnte wohl den Genius jener Zeit darstellen
, so sehr sind in ihm ihre Ideale zusammen-
gefasst und zum künstlerischen Ausdruck gebracht:
jenes ruhige Selbstbewußtsein des kräftigen, frischen
Geistes, der neue Grundlagen für seine Arbeit erkannt
hat, der bescheidene Stolz des starken Siegers
über eine Unendlichkeit von Vorurteilen der Vergangenheit
, der wohl weiss, dass der Kampf noch
lange zu führen ist, der aber die Kraft in sich fühlt,
ihn durchzukämpfen und ruhig den Gegner erwartet.
Donatellos Georg kann als typisch gelten, um
so mehr, als das persönliche, toscanische Temperament
des Künstlers, seine Hinneigung zur dramatisch
bewegten Darstellung hier weniger stark zu Worte
kommen konnte. Er nähert sich in seinem Georg,
so weit das möglich war, der Ruhe der Auffassung
der norditalienischen Kunst, ganz besonders der
Empfindungsweise Mantegnas, des Künstlers, der als
Maler in der Entwicklung der oberitalienischen
Kunst dieselbe Stellung einnimmt wie Donatello als
Bildhauer für ganz Italien.
Nichts ist geeigneter, das Verhältnis der tos-
canischen Kunst zur norditalienischen und im besonderen
den künstlerischen Charakter Mantegnas,
ihres Hauptvertreters im ^.Jahrhundert, in's hellste
Licht zu setzen, als die Zusammenstellung von Donatellos
Georg mit einem Werke Mantegnas, das in
der Gestalt desselben Heiligen das Ideal der nordischen
Kunst Italiens zu verkörpern scheint. Alle
charakteristischen Kennzeichen seiner Kunst sind in
dem kleinen bescheidenen Bildchen der Accademia in
Venedig, in dem Mantegna uns seinen Helden dargestellt
hat, zum vollkommenen, ebenmässigen Ausdruck
gekommen, als ob der Künstler darin sein eigenes
Denken und Fühlen hätte schildern wollen (vgl. die Abb.
S.6). Fast möche man meinen, er hätte auch sein eigenes
Jugendbildnis in dem schönen Krieger dargestellt.
Es ist kein Heiliger voll exstatischen Gefühls,
voll religiöser Hingebung und Martyrerfreudigkeit,.
den uns Mantegna in seinem heiligen Georg erscheinen
lässt, es ist ein schöner Jüngling, frisch
und kräftig, voll Energie trotz seiner Ruhe, kühn
und selbstbewusst bei aller sinnigen Bescheidenheit
seines Wesens. Vor dem Drachen, den er getötet,
steht er da, auf den Stumpf seiner Lanze leicht sich
aufstützend, als ob er sich zum Fortgehen wendete,
um den Huldigungen der dankbaren Menge sich zu
entziehen, der er nur einen ernsten Blick, in dem
eine gewisse wehmütige Milde mit dem stolzen Gefühl
der Ueberlegenheit sich mischt, zuzuwerfen
scheint. Fs sind rein menschliche Empfindungen,
die in dem Heiligen zur Darstellung kommen; jedes
Streben nach Ausdruck des Ueberirdischen hat dem
Künstler fern gelegen.
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