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für die natürliche Erscheinung, das ihm eben die Darstellung
des optischen Eindruckes des Raumes und
der Dinge im Räume ermöglichte, auf die wisssen-
schaftliche Erforschung der Naturgesetze geführt;
ebenso wie fraglos seine Gestalten die wunderbare
Harmonie ihrer Verhältnisse nicht seinen Studien der
Proportionslehre, sondern allein seinem künstlerischen
Feinsinn zu verdanken haben. Mantegna hat hier
in vieler Beziehung bahnbrechend gewirkt. Er
zuerst hat in dem Deckengemälde der Camera degli
sposi im Schlosse in Mantua eine vollständige
Untenansicht durchzuführen gesucht, so dass die
Architektur und die dargestellten Personen wirklich
wie von unten gesehen erscheinen.
Mit derselben Unabhängigkeit steht Mantegna
auch den Denkmälern der griechisch-römischen Kunst
gegenüber. Es war vor allem das Gefühl der Kongenialität
mit der antiken Kunst, mit der das
Quattrocento die innige Freude an der Naturbeobachtung
teilte, das die Künstler jener Zeit auf
das Studium der alten Kunst führte; nicht minder
freilich die Tradition und der literarisch-historische
Enthusiasmus für die Grösse der Zeit, die sie als
die eigene Vergangenheit ansahen. Was Mantegna,
wie alle Quattrocentisten, von der Antike übernimmt,
beschränkt sich auf das Stoffliche der Darstellung
das äusserliche Kostüm, die Gewandung, Rüstung,
ornamentalen Schmuck aller Art. Nichts zeigt
deutlicher die innere Kraft der Kunst des Quattrocento
als diese ihre Unabhängigkeit gegenüber der
künstlerischen Form der Antike, im Gegensatze zur
Kunst des 16. Jahrhunderts, die unter dem übermächtigen
Einflüsse der antiken Formenwelt ihre
selbständige Kraft verloren hat.
Die Kunst der Frührenaissance war gross nicht
sowohl durch ihre Wissenschaft als durch die
geniale Frische und Unmittelbarkeit ihrer Naturbeobachtung
. Mantegna verband nun aber, wie nur
wenige seiner Zeit, mit dieser energievollen Darstellung
der Form und Bewegung einen feinen
künstlerischen Geschmack, eine weise Zurückhaltung.
Er übertreibt die Bewegung nie, er mutet unserem
plastischen Gefühl nur eine geringe Anspannung zu
und macht es so um so empfindlicher für die feineren
Schwingungen der dargestellten Bewegung. Der
junge Krieger Georg steht fast bewegungslos da,
und doch empfinden wir die ganze Elastizität seines
kräftigen Körpers. Sein geläuterter Schönheitssinn,
sein feines Gefühl für den Rhythmus der Bewegung,
die Harmonie der Farben erhoben Mantegna hoch
über die grosse Schaar der mitstrebenden Künstler.
Aristokratische Eleganz liegt in den elastischen Bewegungen
wie in dem Ebenmass der wohlgebildeten
schlanken Körper. Charakteristisch für seine Kunstweise
ist z. B. die überaus feine Zeichnung der
zarten, wohlgeformten Hände, deren Bewegungen
allerdings oft nahe an das Zierliche streifen.
Eine wunderbare Anmut zeigen seine jugendlichen
Frauengestalten, die männlichen edle Würde,
während seine Typen alter Frauen fast stets etwas
karrikiert erscheinen. Es ist nicht ohne Bedeutung,
dass der Kunst des Quattrocento der Ausdruck der
liebreizenden Anmut nirgends so gut gelungen ist
wie bei der Darstellung von Kindern, und zwar von
ganz jungen, deren Natürlichkeit noch nicht durch
den Zwang der Erziehung alteriert ist. Ein Vergleich
der Altersstufe, die von den verschiedenen
Künstlern und Kunstepochen bei der Darstellung
von Kindern als Füllfiguren oder im Ornament
bevorzugt worden ist, würde nicht ohne Wichtigkeit
für die Erkenntnis ihres Kunstcharakters bleiben.
Mantegna scheint fast unübertrefflich in der Darstellung
der unbefangenen Natürlichkeit des Kindes.
Statt aller anderen Beispiele mag nur auf das
Madonnenbild in der Brera in Mailand hingewiesen
werden, in dem in den singenden Cherubsköpfchen
durch die Art ihres Singens die Charaktere der
Kindertypen bewunderungswürdig zum Ausdruck
gebracht sind.
Mantegna ist der erste oberitalienische Künstler,
der ein Schönheitsideal zur Darstellung zu bringen
vermocht hat. Er fasst die künstlerische Arbeit der
vorhergehenden Generationen in Oberitalien zusammen
und verbindet damit, was sich von den
fiorentinischen Kunstformen den norditalienischen
assimilieren Hess. Neben Mantegna ersteht in Giovanni
Bellini ein gleichstrebender und gleichartiger Künstler,
der in Wechselbeziehung mit ihm sich entwickelt.
Wie Giovanni Bellinis Einfluss in Venedig massgebend
bleibt, so herrscht Mantegnas Stil im 15. Jahrhundert
fast im ganzen übrigen Oberitalien.
Ein gutes Stück Kunstgeschichte hätte man zu
erzählen, wollte man den Einwirkungen der Kunst
Mantegnas in und ausserhalb Italiens im einzelnen
nachgehen, von Raffael und Correggio und Dürer
bis auf Rembrandt, der es nicht verschmäht hat, in
einer seiner Radierungen die Gestalt der Madonna
einem Kupferstiche Mantegnas zu entlehnen.
Mantegna hat einen Markstein in der Entwicklung
der Kunstform gesetzt, sein Name
repräsentiert nicht nur das grosse reiche Werk eines
Künstlers, sondern einen eigenen Kunststil.
Paul Kristeller.
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