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Domenico Morelli, Christus in der Wüste.
Domenico Morelli.
DER künstlerische Charakter Domenico Morellis
setzt sich aus drei Elementen zusammen:
Romantik, religiösem Gefühl und Begeisterung für
den Orient. Auch im Leben Morellis sehen wir
diese drei Tendenzen eine nach der anderen zur Erscheinung
kommen: Die Romantik in seiner frühesten
Jugend, dann macht sich zuerst in seiner 1848 in
Rom ausgestellten Madonna die religiöse Tendenz
geltend und endlich die Hinneigung nach dem Orient,
die sich aus den beiden anderen Richtungen herausentwickelt
und daher naturgemäss im Neuen Testament
ihre Anregung sucht.
Will man in der technischen Ausführung drei
'Teile unterscheiden: die Zeichnung, die plastische
Formengebung und die Färbung, so steht in Morellis
Werken die Zeichnung an Kunstwert am niedrigsten,
am höchsten dagegen die Färbung. Die Linie
hat dementsprechend geringere Bedeutung, der
Farbenton dagegen die massgebende Stellung. Seine
Kompositionen sind daher wirkungsvoll nur, wenn
sie in Farben ausgeführt sind. Die Farbe ersetzt
dann die Zeichnung. Morelli beginnt sein Gemälde
auf einen Farbenton hin und erreicht die gewollte
Wirkung schon bevor er zur vollständigen Durcharbeitung
des Einzelnen gelangt ist.
Unter dem Zwange der Akademie, als er dem
Gcschmacke der Professoren, von denen er ein Stipendium
empfing, irgendwie gerecht werden musste,
malte er die „Bilderstürmer", für die Zeit seiner
Entstehung ein ausgezeichnetes Gemälde, in dem der
Künstler aber seine Persönlichkeit noch nicht entwickelt
hat, höchstens, und auch dann nur äusserlich,
im Ausdrucke des religiösen Gefühls, das aber schon
im Gegenstande lag. Sein eigener Charakter beginnt
erst in „Tasso und Eleonora" hervorzutreten, aber
nur teilweise, und zwar in der romantischen Stimmung;
er entfaltet sich vollständig in der Auferweckung
der Tochter des Jairus („Thalita Cumi"), in der
alle drei Elemente wie drei Töne zu einem Akkorde
sich vereinen. Hier zeigen sich auch deutlich seine
Eigentümlichkeiten in der Ausführung, derMangel an
zeichnerischer Durchbildung und das Vorwiegen des
Tones über die Zeichnung, der höchste Zauber des
Kolorits, das die Komposition so beherrscht, dass
man sie fast ein „Spiel der Palette" nennen könnte.
Und doch, wollte man Morelli einen blossen
Koloristen nennen, so würde man seine künstlerische
Physiognomie entstellen. Er malt nicht nur für den
malerischen Effekt. Da er in seiner Auffassung eine
dreifache Tendenz verfolgt, so muss die Wirkung
seiner Palette über die blosse Befriedigung des
sinnlichen Auges hinausgehen, sie muss erzählen
oder vielmehr dramatisieren. Es ist beachtenswert,
dass Morelli bei der Wahl seiner Stoffe von littc-
rarischen Gesichtspunkten geleitet wird und dass
oft seine Gemälde freie Illustrationen dessen sind,
was er gelesen hat. Diese Eigenschaft hat viel dazu
beigetragen, Morelli zum wirkungsvollsten Lehrer
der modernen italienischen Malerei zu machen.
Früher lehrte der Meister den Schüler vor allem
seine Technik, heute vermittelt er ihm vielmehr
seine Gefühls- und Aulfassungsweise. Die alte Art
des Lernens würde heute als Plagiat angesehen
werden; die Anleitung durch das praktische Beispiel
ist fast ersetzt durch das erklärende und inspirierende
Wort des Meisters. Heute muss der Lehrer
mehr beredt als geschickt sein; und Morelli ist beredt
im höchsten Grade. Schwerlich wird man bei einem
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