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seiner zahlreichen Schüler die Spuren seiner Technik
erkennen, bei fast allen aber die seiner Ausdrucksweise
. Und so stark ist dieser Einfluss der Litte-
ratur, dass seine drei Hauptschüler: Antonio Man-
cini, Francesco Paolo Michetti und Paolo Vetri, so
verschieden sie als Menschen und Maler sind, doch
einen gemeinsamen Zug bewahrt und sogar weiter
entwickelt haben: das Streben, die Bildung der Zeit
in sich aufzunehmen und nicht allein mit dem Pinsel,
sondern auch mit dem Worte auszudrücken.
Diese litterarische Tendenz Morellis hat ihren
ersten Ursprung in der Opposition gegen die
Akademie, gegen die er nicht nur in der Zeichnung und
in der Farbe, sondern auch in der Art der Auffassung
der Gegenstände den Kampf führte. Vom verknöcherten
Klassizismus ging er zur Romantik über, von der
hierarchischen Auffassung des Religiösen zur evangelischen
, vom Romanischen zum Orientalischen,
endlich vom epischen Stil zum dramatischen und
lyrischen. Wer von den Zeitgenossen Morellis sich
über die Mittelmässigkeit erheben wollte, musste
gegen die Akademie in die Schranken treten, aber
er allein hat den Kampf auf der ganzen Linie aufgenommen
, im Geiste wie in der Form.
Es soll hier weder eine Biographie Morellis,
noch ein Verzeichnis seiner Werke gegeben werden;
nur bei seinem letzten Werke wollen wir verweilen,
da es in der That als eine der charakteristischsten
Schöpfungen seiner Kunst angesehen werden kann.
Vielleicht ist es darum zu wenig geschätzt worden,
weil es zu spät erschienen ist, da jene grosse Reaktion
jetzt nur noch eine geschichtliche und keine aktuelle
Bedeutung mehr hat. Das Gemälde ist von dem
Verse des Markus-Evangeliums: „Und er war in der
Wüste vierzig Nächie — und die Engel dienten ihm"
inspiriert. Auf der internationalen Ausstellung in Venedig
1895 hat es nicht sehr gefallen. Man glaubte sogar
darin die Altersschwäche des Künstlers wahrzunehmen.
Domenico Morelli zählt heute 70 Jahre, aber die
melancholischen Züge des Alters liegen nicht in dem
Kunstwerke als solchem, sondern in der Art des
Gegenstandes. Die Kunstentwickelung hat, seit
Morelli seinen Charakter zur Reife gebracht, nicht
stillgestanden; man hat gelernt, mehr Licht in die
Farben zu mischen, hat neue Feinheiten in der
Stufenleiter der Empfindungen entdeckt. Er hat, wie
sein Freund Verdi, der ihm selbst im Aeussern
ähnelt, nur seine eigene Kunst entwickelt und doch
hat er, wie Verdi im „Falstaff", in seinem „Christus
in der Wüste" ein Werk geschaffen, das wohl
neben Vorzügen auch grosse Mängel hat, aber
jedenfalls nichts schwächlich-altmodisches erkennen
lässt.
Man könnte sagen, dass Morelli mehr Dichter
als Maler sei, d. h. dass wir von der Betrachtung
der Technik abgelenkt werden, weil das Gemälde
keinen Pinselstrich aufweist, der nicht Mittel zum
Ausdruck wäre, der nicht eine selbständige Bedeutung
hätte. Den inneren Wert der Zeichnung und
der Farbe beginnen wir erst zu betrachten, wenn
wir schon vollständig verstanden haben, was der
Künstler uns sagen wollte, und zwar, ohne dass wir
dazu irgend welcher Erklärung bedürften. Aber
Morelli empfindet wohl als Dichter, drückt sich jedoch
in der klarsten Weise als Maler aus. Er greift den
Moment aus seiner Vorstellung des Vorganges auf
und bannt ihn in Formen und Farben. Erst hart
an der Grenze des der Malerei Möglichen macht er
Halt. Die beiden Engel z. B., die Christus in der
Wüste Speise bringen, erscheinen so ätherisch leicht,
dass sie, obwohl sie keine Flügel tragen und auf
dem Boden schreiten, doch ihre überirdische Natur
sofort erkennen lassen. Aber sie sind doch auch
nicht immateriell, denn wir sehen ihre Schatten auf
der Erde.
Im Ausdrucke seiner Empfindungen schlägt
Morelli stets den Moll-Ton an. Vom Schmerze der
„Marien auf dem Wege zum Calvarienberge"
gelangt er Schritt für Schritt zu der süssen Melancholie
des „Christus in der Wüste", und wenn je
ein Freudenschimmer in eines seiner Gemälde dringt,
so ist es die Seligkeit der Anbetung, wie in der „Mystischen
Rose" oder in der „Goldenen Leiter".
Unter seinen zahlreichen Werken ist die Darstellung
eines frohen oder auch nur gleichgiltigen Vorganges
überaus selten. Man kann den „Florentiner Morgen
zur Zeit Lorenzos de' Medici" anführen, der aber
aus dem Jahre 1857 stammt, als der ungefähr
dreissigjährige Künstler seinen Weg noch nicht
gefunden hatte und der Charakter seiner Kunst
allein im Widerspruch gegen die Akademie bestand.
Später malte er einige Gemälde orientalischen Gegenstandes
, wie die „Odaliske" (Sammlung Maglione)^
oder kirchlichen Inhaltes, wie die Charfreitags-
Prozession („Vexilla regis"), die, obwohl sie dem
Bereiche seiner Lieblingsmotive angehören, doch nicht
den Charakter des Moll-Tons haben. Völlig vereinzelt
steht dagegen sein „Pompejanisches Bad" (Mailand
), das der Künstler 1861 im Alter von vierunddrei
ssig Jahren malte, als das Studium der Lichteffekte
noch im Stande war, ihn, einen Augenblick
wenigstens, von seinen dauernden und innerlichsten
Bestrebungen abzulenken.
Die Periode seiner höchsten Reife wird vornehmlich
durch die Erweckung der Tochter des Jairus
(„Thalita Cumi" 1874), die „Versuchung des
hl. Antonius" (1878) und „Christus in der Wüste"
bezeichnet. In allen drei Werken mischen sich
die drei Elemente, die, wie wir gesehen haben, den
Charakter der Kunst Morellis bilden. Wollte man
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