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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0032
Gestalt dieses Knaben, dessen Lockenhaupt in seinem
Todesschlaf einer geknickten Blüte gleicht, ruht mit der
Empfindungsweise des endenden achtzehnten Jahrhunderts
zugleich der Zauber griechischer Grabdenkmäler
, und die drei Parzen sind trotz ihrer Anlehnung
an michelangeleske Typen kaum minder antik gedacht,
als die Gestaltenwelt eines Carstens. Allein dieses
Meisterwerk ist die Schöpfung einer glücklichen Stunde,
wie sie mit gleicher Gunst in Schadows Künstlerleben
selten wiederkehrte. Seine übrigen klassisch gehaltenen
Werke erscheinen ihm gegenüber meist entweder
nüchtern oder vergröbert. Das bezeugt doch, dass
der hellenische Flug seinem Genius von der Natur
versagt war. Aber noch mehr; es fehlte ihm überhaupt
die dichterische Schwungkraft. Damit ist die

Hauptgrenze gekennzeichnet, . ..........______________________...................

die seine Kunst von derjenigen
Rauchs scheidet. Wohl war
auch dieser keine so reine
Hellenennatur, wie Thorwald-
sen; wohl hat sich auch Rauch
zu einem Kompromiss zwischen
der klassischen Schulung
und dem nationalen Wirklichkeitssinn
seiner eigenen
Zeit verstanden, der für Thor-
waldsen unmöglich gewesen
wäre. Allein über diese Kluft
trug ihn seine poetisch-idealistische
Begabung mit leichtem
Flügelschlag sicher fort.
Schadow aber zog seine Kraft
aus dem festen Boden des
realen Lebens, und wollte
trotzdem oft in der Sprache
der Griechen dichten. Nur so
erklärt es sich, dass er bei seiner Blücherstatue für
Rostock den Vorschlägen Goethes so bereitwillig und
doch mit so dürftigem Gestaltungsvermögen folgte.
Im Hinblick hierauf war es eine gesunde Selbsterkenntnis
, wenn er bei seinen übrigen Standbildern preus-
sischer Helden, zu denen er früher als Rauch berufen
wurde, auf die klassische Poetik von vornherein verzichtete
. Es bleibt in der Geschichte der deutschen
Denkmäler eine bedeutungsvolle That, dass er in seiner
Statue Ziethens (1794) und Leopolds von Dessau (1800)
in Berlin die Uniform preussischer Feldherren selbst
ohne den in plastischer Fülle drappierten Mantel darzustellen
wagte. Damit hat er der Zeittracht und mit
ihr der realistischen Wahrheit in den öffentlichen Por-
traitdenkmälern zu ihrem künstlerischen Recht verholten
: nicht als der erste überhaupt — schon sein
Lehrer Tassaert hatte so die Generäle Seidlitz und
Keith verewigt —, aber als der erste Vertreter einer
echt deutschen, nationalen Kunst. Denn Tassaert stand

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I

G. Schadow, Reiseskizzen (Lübeck 1823).

Federzeichnung (verkleinert). Berlin, Bibliothek der
Kgl. Akademie der Künste.

noch im Bann der absichtlichen Rococo-Grazie und
hatte seine monumentalen Aufgaben prinzipiell nicht
anders, und künstlerisch weit unbedeutender erfasst,
als vor und neben ihm zahlreiche Meister der Kleinskulptur
, besonders der Porzellan-Figürchen, die in
diesen die knappen Umrisse des männlichen Zeit-
kostümes schon weit besser plastisch zu beleben wussten.

Schadow dagegen beherrschte wenigstens äusser-
lich die Formensprache sicher genug, um diese Kunstweise
auch in grossen Massstab zu übertragen, und
er erhob sie dadurch zu volkstümlicher Bedeutung.
So wurde er der Chodowiecki der deutschen Skulptur
und näherte sich auch hier zuweilen — beispielsweise
in der Statue des Philosophen von Sanssouci mit den
Windspielen (Abb. S. 21) — der Kunst eines Menzel.

Dieses Werk bezeugt, wie
volkstümlich er gelegentlich
sprechen konnte, und das darf
als Ersatz dafür gelten, dass
seiner Kunst die Vornehmheit
und die dichterische Kraft
Rauchs fehlte. Der ersteren
ist er wohl in seinem Luther
für Wittenberg am nächsten
gekommen, Rauchs Poesie
aber hat er in einem anderen
Werk erreicht, das unter seinen
Bildnissen eine ähnlich glückliche
Schöpfung ist, wie das
Grabdenkmal des Grafen von
der Mark unter seinen klassizistischen
Arbeiten: in der
Gruppe der Königin Luise
und ihrer Schwester, der nachmaligen
Königin von Hannover
(Taf. 34). Auch diese
Arbeit fällt in die ersten fruchtbarsten Jahre seines
Schaffens. Mit fast pedantischer Gewissenhaftigkeit
bereitete er sie vor. „Er nahm wie er selbst erzählt
— die Maasse nach der Natur", und modellierte
auch die Gewandung nach ausgesuchten Stücken der
Garderobe. Allein der damaligen Mode wollte er doch
nur einen „Einfluss" auf die Gewandung zugestehen!
Das zeigt wiederum, dass man Schadow denn doch
auch nicht vollständig zu den Realisten etwa im Sinne
der Gegenwart zählen darf. Die „stille Begeisterung",
mit der er an diesem Werke thätig war, und die in
keiner seiner übrigen Arbeiten erstrebte Sorgfalt der
Detaillierung steht doch wieder im Zeichen jenes antiken
Ideals, von welchem sich keiner seiner Zeitgenossen gänzlich
trennen mochte. Und wieder war es eine glückliche
Stunde, die hier den Zwiespalt zwischen diesem Wollen
und seinem Können ausnahmsweise überbrückte! —

Widerspruchsvoll hat das Schicksal Schadow behandelt
. Es stellte ihn in eine Zeit nationalen Selbsten
J

X)

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