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anderes geben könne, als äussere Schönheit,
gute Ausführung und Geschick in der Darstellung
. Der junge Künstler muss vor diesem
Gretchen ähnliches empfunden haben, wie
Heine, der besser als irgend jemand das Gefühlvolle
bei Scheffer verstand, vor einer anderen
Gretchen-Darstellung desselben Meisters.
Aus der schlichten Malerei leuchtete dem Dichter
das Gemüt heraus wie Sonnenstrahl aus
Nebelwolken; hat er nicht wohl deshalb von
Scheffers Gretchen von 1831 als „einer gemalten
Seele" gesprochen? |

Aber wenn auch dieses - - doch zu sentimentale
— Werk in der Brust Israels weckte,

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was an tiefer Empfindung darin schlummerte,
so richtete doch sein Interesse sich bald auf
immer kräftigere Naturstudien, und nicht in
Balladen und Theaterfiguren, sondern in der
Landbevölkerung seines malerischen Vaterlands
fand er die Stoffe seiner immer mehr heranwachsenden
Kunst. Und während andere in den
Bauern und Fischern stets nur das Pittoreske sahen,
gaben sie ihm, wie Millet, allezeit nur Anregung zu
dramatischen Bildern voll Ausdruck und Empfindung.

Seine Vorliebe für das Unscheinbare ist nur eine
Vorliebe für das unverdorben Menschliche; nichts ist
diesem Manne fremder als das gekünstelte, ihm, von
dem ein französischer Schriftsteller so treffend gesagt
hat, dass seine Bilder nur aus Schatten und Schmerzen
bestehen; niemals hat das äusserlich Schöne für ihn
einen Wert gehabt. Schön findet er die Miene des
Schweigens, mit der man in einem Sterbehause umherschleicht
, - schön die Haltung einer abgelebten
Frau, die am Feuer hockt, um aus ihm noch einen
Funken Lebenskraft herauszulocken, — schön die
Wucht, womit zwei melancholische Fischerknechte den
schweren Anker aus ihrem Boot schleppen, — schön
die Art, wie in jenem ärmlichen Kämmerlein der einsame
alte Mann mit seinem Hunde schweigend seine
Gedanken austauscht, — schön, wie der Alte gebrochen
am Sterbebett der Lebensgefährtin sitzt, — schön auch
das geheimnisvolle Leuchten in dem Auge des Trödlers
, der vor seiner schmutzigen Bude gebückt dasitzt,
die Hände auf den Knieen, die Beine gekrümmt, —
schön die Würde, mit der die Arbeiterfamilie sich an
dem einfachen Tisch niederlässt; schön findet er,
was das einfache Empfinden seines Herzen vibrieren
macht.

Es versteht sich, dass dieser Geist in einer Malweise
verkörpert ist, welche ganz dem Pathos des
Künstlers entspricht. In seiner Ausführung ist nichts

Jozef Israels.
Nach einer Lithographie von Jan Veth (verkleinert).

Bestimmtes, nichts Pedantisches, nichts Abgerundetes,
man fühlt darin eine Hand, die mit mehr Intuition
als Wissen nach dem wesentlichen Ausdruck zu tasten
scheint. So componiert er, so zeichnet er, so mischt
er die Farben und so malt er. Aber gerade weil er
das hinter dem Schein Verborgene fassen will, sind
seine Mittel manchmal so gewagt. Er kümmert sich
um keine Vorschrift äusserlicher Sauberkeit; er sündigt
gegen alle Conventionen, nur um das anzudeuten,
was ihn bewegt. Mitten durch scrupulös suchende
Strichelchen reisst er plötzlich einen wilden Pinselstrich
; eine reich durchgearbeitete Partie wird um der
Totalwirkung willen brutal durcheinandergeschmiert,
und man kann sich nichts weniger Schulmässiges
denken, als die Mischungen seiner grauen Farbentöne,
die sich dann doch aus feinen Harmonien in starke
Wirkungen auflösen. Denkt man an die klare, durchdachte
, vollkommen beherrschte Technik der altholländischen
Kleinmaler, dann möchte man beinahe sagen,
dass die Malweise Israels im Vergleich damit eine
unbewusste genannt werden müsste.

Ja, in seiner ganzen Auffassung würde man diesen
Mann, der besser als irgend einer seiner Zeitgenossen
die Poesie der Armut verstanden hat, den grossen
Dichter des Unbewussten nennen können. Denn gerade
das, was nicht äusserlich zu fühlen, was nicht in Worte
zu kleiden ist, das Träumerische in dem Robusten
und das Krasse in dem Passiven, hat Israels gemalt.
Und welche Mängel er auch zeigt, dieser Grundzug
seiner Kunst wird leben und bleibende Bedeutung
behalten, so lange auf Erden noch gefühlt und gelitten
wird.

Jan Veth.

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