http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0035
Filippo Brunellesco: Das Opfer Isaaks.
Lorenzo Ghiberti: Das Opfer Isaaks. Bronzerelief, h. 0.44, br. 0.39. Florenz, Museo Nazionale.
Bronzerelief, h. 0.44, br. 0.39. Florenz, Museo Nazionale.
Der Dornauszieher.
DIE schöne Bronzestatue eines Knaben, der sich
einen Dorn aus der Sohle des linken Fusses zieht,
der „Dornauszieher" (Tafel 54), wie er allgemein genannt
wird, ist seit Jahrhunderten bekannt und bewundert.
Aber Nachrichten über seine Auffindung und seine
früheren Schicksale sind nicht vorhanden. Mehrfach
ist die Vermutung ausgesprochen worden, dass er zu
der kleinen Zahl von antiken Statuen in Rom gehöre,
die niemals verschüttet wurden, sondern seit den Zeiten
des Altertums über dem Boden blieben. Diese Vermutung
erweist sich als richtig durch die Tatsache,
dass sich eine kleine und rohe, aber unverkennbare
Nachbildung an dem Grabmal eines Erzbischofs im
Dom zu Magdeburg findet, einem Grabmal, das dem
Anfang des elften Jahrhunderts entstammt.
Die erste urkundliche Nachricht über den Dornauszieher
, die wir vernehmen, ist vom 15. Dezember
1471. Damals bestimmte Papst Sixtus IV, dass zugleich
mit anderen Bronzestatuen — der Wölfin, dem
Camillus — der Dornauszieher in dem zwei Jahrzehnte
vorher erbauten Konservatorenpalast auf dem Kapitol
aufgestellt werde. Noch heute steht der Dornauszieher
in demselben Palast, der inzwischen in den sechziger
Jahren des sechszehnten Jahrhunderts seine neue Gestalt
erhalten hat, der Betrachtung offen, wie unter dem
Pontifikat Sixtus' IV.
Zu allen Zeiten haben sich volkstümliche Ausdeutungen
an einzelne Kunstwerke angeheftet. Den
Anlass für die Statue des Dornausziehers fand man in
einer besonderen Heldentat des Knaben, der in einer
so auffälligen und verständlichen Handlung so wahr
und ausdrucksvoll dargestellt ist. Ein feindliches Heer
naht sich, den Römern unbemerkt, Rom. Ein Hirtenknabe
bringt in fliegender Eile die Botschaft von der
drohenden Gefahr. Beim Lauf tritt er sich einen Dorn
in den Fuss. Aber er überwindet den Schmerz und
setzt den Lauf fort. Erst nachdem er seine Botschaft
überbracht hat, zieht er sich in Gegenwart des Senates
den Dorn aus dem Fusse und stirbt. Dess zum Gedächtnis
ist die Statue errichtet. Die ersten bekannten
schriftlichen Aufzeichnungen dieser aus dem Motiv der
Statue heraus erfundenen Legende lassen das Geschichtchen
in den Zeiten des Altertums geschehen sein und
nennen den Hirtenknaben Gnaeus Martius. Später
hiess der Knabe nur allgemein „il fedele", und die
Geschichte wurde in die Zeit der mittelalterlichen
Kämpfe verlegt. In dieser Fassung muss die Legende
noch im vorigen Jahrhundert eine Art von populärem
Ansehen besessen haben; denn Visconti hielt für
nötig, den antiken Ursprung der Statue an dem
kein Zweifel sein kann - ausdrücklich zu versichern.
Für die Erklärung bog er die ihm seit seiner Kinderzeit
so wohl bekannte Legende nur wenig um. Nicht
ein mittelalterlicher Hirtenknabe, der eine Botschaft zu
bringen hatte, hat sich den Fuss verletzt, sondern ein
griechischer Knabe hat sich beim Wettlaufen im Stadion
25
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0035