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Chercher entre ses membres des oppositions purement
techniques, y sacrifier la verite rigoureuse de son action,
voilä l'origine du style antithetique et petit.
Was Diderot hier als Frucht scharfen Nachdenkens
ausspricht, bezeichnet die Anschauung, in der unwillkürlich
und ohne Nachdenken der Künstler des Dorn-
ausziehers lebte und sein Werk schuf, ganz naiv, ganz
plastisch, ohne jede Absicht einer zeichnerischen
Wirkung oder einer rhythmischen Linienführung für
einen oder mehrere bestimmte Augenpunkte. Nur in
einer Einzelheit hat der Künstler, wie es scheinen
kann, aber schwerlich anders als unwillkürlich, eine
freundliche Rücksicht auf die Beschauer seines Werkes
genommen.
Im Leben müssen bei einer solchen Haltung des
Kopfes die Locken in das Gesicht
fallen. Diese Bewegung der Haare
ist verschmäht, nicht einmal angedeutet
— offenbar, um das Gesicht
, das für den Künstler nicht
das wichtigste, aber ein wesentlicher
Teil der Gesamterscheinung
war, ganz unverdeckt zu lassen.
Aehnliche Bequemlichkeiten der
Darstellung lassen sich in der
antiken Kunst mehrfach beobachten
. Bekannte Beispiele bieten
Reliefs, in denen die Waffen, der
Wahrheit widersprechend, statt vor
Köpfen und Armen, hinter diesen
angegeben sind, damit Köpfe und
Arme unzerschnitten bleiben, und
auch eine nicht ganz naturgemässe
Anordnung der Haare kommt
ähnlich mehrere Male vor. Bei
dem Dornauszieher entspringt
diese lässige Darstellung der kindlichen
Unbefangenheit der Kunststufe
, der er angehört. Die wenigsten
Beschauer werden, ohne
darauf aufmerksam gemacht zu sein, diese Sonderbarkeit
überhaupt bemerken, und wenn man sie bemerkt
hat, so trägt sie nur dazu bei, den Eindruck der
Herbigkeit und Strenge zu steigern, die der Statue
eigen sind. Wie der Dornauszieher nur mit sich beschäftigt
, verschlossen, eckig und rücksichtslos dasitzt,
ist er ein starkes Beispiel für die Kunstart, die, um
Winkelmannsche Bezeichnungen zu verwenden, sich
selbst genug ist und sich nicht anbietet, sondern gesucht
sein will. Aber in ihrer störrischen Eigenart hat
die Figur auf grosse Künstler des Altertums wie der
neueren Zeit einen unwiderstehlichen Reiz ausgeübt,
während sie für die Gelehrten, die den Gang der antiken
Kunstgeschichte zu ergründen suchten, lange
Zeit mehr eine Verlegenheit als eine Hilfe war. Dies
Paduanischer Meister um 1490.
Dornauszicher. Bronze, h. 0.19.
Berlin, Kgl. Museum.
beruht nur zum Teil darauf, dass sie fremd unter der
Masse der allbekannten und allberühmten Antiken
stand, welche das Mass für die Vorstellung von griechischer
Kunst abgaben. Vielmehr waren auch die
weltfremdesten Gelehrten unter dem Banne der Geistesströmung
, welche alte und neue Kunst nach dem Ideal
der akademischen Musterschönheit und der akademischen
Musterpose abschätzte und die Grösse Donatellos
nicht mehr verstand. Nur wer für die Eigenart
des Quattrocento offen ist, wird auch die herbe Anmut
, die unberührte Schönheit, den liebenswürdigen
natürlichen Reiz, den der Dornauszieher in seiner
altertümlichen Befangenheit in sich birgt, empfinden
können.
Die Erzstatue des Dornausziehers muss schon im
Altertum berühmt und beliebt gewesen
sein. Denn es sind uns
mehrere antike Marmorstatuen erhalten
, welche dies Vorbild mit
der Absicht möglichster Treue
genau wiedergeben, und ausserdem
einige freie Umbildungen.
Unter diesen ist die bedeutendste
Leistung eine Marmorstatue, die
sich jetzt im Britischen Museum
in London befindet. Als sie, vor
Jahren, einmal vorübergehend in
Berlin ausgestellt war, fühlte sich
ein grosser Künstler unserer Tage,
Adolf Menzel, so lebhaft von ihr
angezogen, dass er nicht weniger
als vier Zeichnungen von ihr
machte (S. Abb. S. 26). Diese
leider nicht unverletzte Statue ist
im Jahre 1874 in Rom auf dem
Esquilin gefunden worden; sie
hat, wie die Durchbohrungen im
Fels lehren, als Brunnenfigur gedient
. Sie wiederholt deutlich das
reizvolle Motiv der Bronze, aber
in freier Umformung, in völlig neuer Auffassung der
Natur. An Stelle der feinen altertümlichen Strenge,
innerhalb derer sich der Meister der Bronze so anmutig
und wahr zu bewegen wusste, ist hier ein anderer
Grad der Naturwahrheit erstrebt und erreicht. Das
Gesicht ist wie über dem Leben geformt, die Oberfläche
des ganzen Körpers geschmeidig und belebt.
Durch die schöne Wirkung des edlen Marmors, den
der Bildner so sicher und geistvoll zu behandeln
wusste, hat er der an sieh niedrigen Natur des dargestellten
derben Knaben eine eigene Vornehmheit der
künstlerischen Erscheinung verliehen. Vor dem Ausgang
des vierten vorschriftlichen Jahrhunderts ist eine
solche Auffassung und Durchführung schwerlich möglich
gewesen. Wie weit man den Zeitansatz heruuter-
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