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noch der beste in der Malerei" — zu einer Zeit, da
Giorgione und Tizian schon die ersten Proben ihres
Talents ablegten. Wie unser Landsmann, so urteilten
die Zeitgenossen, deren Bewunderung dem
Meister bis zum Ende seines langen Lebens treu blieb.
Die Kunst der Brüder Bellini charakterisiert
ein zeitgenössischer Autor dahin, dass der ältere,
Gentile, sich der Theorie der Ma'erei, der jüngere,
Giovanni, mehr der praktischen Ausbildung seiner
Kunst gewidmet habe. In der That mag diese Unterscheidung
der Hauptsache nach das Wesen der Kunst-
thätigkeit beider kurz bezeichnen: denn wird man
vor den Werken Gentiles den Eindruck nicht los,
als habe die Reflexion ein gut Teil bei seiner Kunstausübung
mitzusprechen gehabt — angesichts der
Bilder des Bruders empfindet man in Wahrheit, dass
„grün des Lebens goldner Baum" ist.
Gering nur ist die Zahl der uns erhaltenen
Werke von Gentile Bellini, etwa ein Dutzend Bilder.
Aber auch wenn man die grossen Monumentalbilder
im Saal des grossen Rats und in der Scuola di
San Marco dazurechnet, welche durch Feuer zu
Grunde gegangen sind: sehr gross war die Zahl
sicher nicht. Er war kein Bravourmaler, der im
Handumdrehen wieTintoretto die gewaltigsten Flächen
bedeckte; ausserdem erforderte das Genre, in welchem
er vorzugsweise thätig war, grosse Sorgfalt, intimes
Eingehen ins Detail. Gentile entnahm mit Vorliebe
seine Stoffe jenem Gebiet, in welchem schon der
Vater treffliches geleistet hatte. Ererbte Begabung
traf aufs glücklichste zusammen mit den speciellen
Erfordernissen, welche grosse Aufträge an ihn stellten.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte des fünfzehnten Jahrhunderts
wetteiferten die Brüderschaften — Verbindungen
zu wohlthätigem Zweck — mit dem Staat,
die Räume, in denen ihre Beratungen stattfanden,
mit Bildern zu zieren. Wurde für den Dogenpalast
natürlich das Thema aus der — phantastisch ausgeschmückten
— Vergangenheit der Republik gewählt,
so mussten in den Sitzungssälen der frommen Korporationen
Wundergeschichten erzählt werden. Aus
dem Stoff selbst ergaben sich gewisse Bedingungen.
£a es galt, dem Beschauer in sinnfälliger Weise den
betreffenden Hergang vor Augen zu führen, so musste
zuerst das Milieu ausführlich abgeschildert werden.
Um sodann den Effekt des Wunders in seiner ganzen
Bedeutsamkeit zu illustrieren, wurden neben den
Trägern der Handlung müssige Zuschauer in grosser
Zahl aufgeboten, in deren Reihen sich die von dem Ereignis
ausgehende Bewegung fortpflanzt. Daher sind
-alle diese Darstellungen Gentiles reich an Einzelgrup-
pen, diese wiederum ausgezeichnet durch eine Fülle
von Porträts. Und hier setzt des Meisters persönlichste
Gabe glücklich ein. Er, der Theoretiker, der Forscher,
ging weniger auf die malerische Erscheinung des
Porträt des Giovanni Bellini.
Zeichnung eines Zeitgenossen. Sammlung des Duc d'Aumale.
menschlichen Antlitzes, als auf seine plastische Gestaltung
. Mit rücksichtloser Schärfe beobachtet er die
zufälligen Einzelheiten, die seine Hand erbarmungslos
fixiert. Eine Fülle von Charakterköpfen finden wir
also auf seinen Werken, die uns das Bild seiner
Zeitgenossen ungeschminkt vor Augen führen, an
Schärfe der Beobachtung vergleichbar den meisterhaften
Charakteristiken, welche die venezianischen
Gesandten von den Personen an den Höfen Europas,
an denen sie leben, entwerfen. Greifbar klar wird uns
der Grund, warum wir von Gentile fast nur Porträts
und seine grossen Kompositionen - - man ist geneigt,
sie als Massenporträts zu bezeichnen, — besitzen,
dagegen so wenige Madonnenbilder oder Heiligendarstellungen
. Es war ihm versagt, von dem Individuellen
der Einzelerscheinung überzugehen zu dem
Typischen, allgemein Menschlichen, wie es das Madonnenbild
z. B. oder die Figur Christi erfordert.
Die Nachwelt darf mit diesem Mangel in seiner
Begabung zufrieden sein. Ihm verdanken wir die
anschaulichsten Schilderungen des venezianischen
Lebens um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts.
Als Ergänzung gewissermassen dient das hinreissende
Talent des jüngeren Bruders, zur Ausgestaltung
des grossen Gebietes, welches Gentile so gut
wie unberührt Hess. Ihm und seiner Gefolgschaft
von Schülern fiel die Aufgabe zu, die Bilder zu
malen, vor welchen in Kirchen und im Privathaus
die kirchlich strenge Bevölkerung Venedigs ihre
Andacht verrichtete. Ueber fünfzig Jahre lang hat
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