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Giovanni Bellini gearbeitet und noch heute dienen
seine Hauptwerke zur Zierde der Altäre, für welche
sie einst des Meisters Hand bestimmt. Es gehört
zu den höchsten Genüssen, welche die Kunst zu
bieten vermag, die Reihe dieser Bilder zu betrachten,
zu vergleichen, wie er den einzelnen Typus weiterentwickelt
, wie er im Arbeiten fortschreitet, stets neu
erscheint, stets zu fesseln weiss. Niemals zeugt ein
Werk von Ermüdung des Urhebers. Alle technischen
Errungenschaften macht er allmählich sich zu eigen.
Zuerst in Venedig lernt er die Oelmalerei beherrschen
und entwickelt in seinen Bildern eine Kraft der
Farben, wie die italienische Welt sie bis dahin niemals
geschaut. Als glühten sie von innen heraus,
so leuchten sie noch heute im herrlichsten Goldton.
Der Betrachter all dieser Kunstwerke ist in Verlegenheit
, welchen der Vorzug zu geben sei: sie bilden
zusammen eine feste Kette, aus der man schwer ein einzelnes
Glied herauslöst. Die Betrachtung der Entwicklung
des Madonnenbildes, das der Meister immer wieder
ausgestaltete, vermag einen Überblick zu schaffen.
Bellinis Madonnen! Die frühesten Darstellungen
wie Reminiscenzen an die Kunst von Byzanz; auf
Goldgrund mit griechischen Schriftzeichen, der Ausdruck
der Köpfe noch etwas unbelebt, doch fesseln
schon die tiefen ausdrucksvollen Augen. Den Madonnen
Mantegnas verwandt erscheinen andere: der
schlanke Kopf mit dem schlicht gescheitelten Haar
nähert sich seinem von der Antike inspirierten Ideal,
hart gezeichnet sind die Details; wiederum beherrschen
die umschleierten Augen die Erinnerung. Wie völlig
verschieden erscheinen uns seine grossen Bilder der
reifsten Zeit! Zwei darunter vom Jahre 1488: das
Bild in der Sakristei der Frarikirche, unvergesslich
jedem, der einmal Venedig besucht hat, herrlich
hineinkomponiert in den schönsten Renaissancerahmen
, Maria thronend mit dem Kind auf den
Knieen, in einer Nische, zu ihren Füssen entzückende
Engelknaben, die voller Inbrunst ihren Instrumenten
Töne entlocken, zu den Seiten je zwei Heilige, in sich
gefestigte Existenzen, die ihresgleichen nur in
Dürers „Temperamenten" haben; in der Kirche
S. Pietro zu Murano das andere, wo der Doge
Barbarigo dem Christkind seine Verehrung erweist.
Mütterlich besorgt erscheint die Madonna um den
Sohn, den sie mit den beiden edelschlanken Händen
umfasst hält, frauenhaft ihr volles Gesicht mit dem
starken Kinn, den träumerischen Augen, die über
die Verehrung der Gläubigen hinweg eine weite
Ferne zu suchen scheinen. Bis zur gewaltigen
Ekstase gesteigert, erscheint der Ausdruck bei der
Madonna und dem Christkind auf dem grossen
Altarbild aus S. Giobbe, einem der ersten Werke,
welches des Meisters Ruhm in Venedig verbreitete
(jetzt in der venezianischen Akademie): eine Vision
des Himmels scheint sich vor ihren Augen auf-
zuthun, welche sie mit staunender Geste, mit aufwärts
gewandtem Blick begleitet. Rechts und links drei
Heilige in stiller Verehrung; der Wechsel der Stellung
mildert die Starrheit des numerischen Gleichgewichts;
indem sie die Jungfrau verehren, scheinen sie der
leisen Musik zu lauschen, welche den Saiteninstrumenten
der lockigen Engelknaben entquillt: das
Ganze wie der Gottesdienst der heiligsten Gemeinde!
Menschlich uns nahe gebracht endlich die Madonna
der Spätzeit des Meisters (Taf.59.60)': sie blickt auf die
verehrende Menge zu ihren Füssen; das Elend der
leidenden Menschheit scheint etwas wie Kummer
über ihr frauenhaft mildes, schlankes Angesicht zu
verbreiten; das Kind spendet dem frommen Verehrer
seinen Segen. Die Mauern der Kirche sind durchbrochen
und Sonnenlicht überschimmert die Gruppe:
in lautloser Andacht stehen regelmässig gruppiert
zwei heilige Frauen, zwei Greise, in sich versunken,
einer Ehrenwache vergleichbar, neben dem Thron
(in San Zaccaria, 1505). Als das schönste Bild der
Stadt wurde dieses Bild dem Pilger gewiesen, die
Mittelgruppe der Madonna mit dem Kind in zahlreichen
Wiederholungen verbreitet.
Wie Giovanni an Stelle des starren Konventionsbildes
das Abbild blühenden Lebens setzte, so ver-
lässt er in seinen Werken den Goldgrund, den eine
strengere Richtung bevorzugt hatte, und erringt der
Landschaft auf dem Hintergrund seiner Gemälde eine
Stätte. Erstaunlich vollkommen sind bisweilen seine
Schilderungen der Natur: so die Abendstimmung auf
seinem „Christus im Oelberg" (National Gallery, London
), wo die scheidende Sonne mit warmem Schimmer
die Burg in der Höhe umspinnt, beruhigt das Thal
im sanften grünen Schein daliegt, und rosa Wolken
am Himmel verschwimmen. Sonnenuntergang über
einem Bergsee ist wohl nie herrlicher geschildert worden
, als in der „Venus" der venezianischen Akademie
(Taf. 74): wie die leisen Wellen den Nachen
dahintragen, um den herum Putten spielen und den ein
leiser Wind weiter zu treiben scheint; ausser Bellini
hat wohl nur Böcklin ein Werk von ähnlichem
poetischen Zauber geschaffen, in welchem Schönheit
und Natur, die ewig sich Erneuernden, zu unvergänglichem
Ganzen sich verbinden.
Man mag Giovanni Bellinis Leben als das Ideal
einer Künstlerexistenz bezeichnen, denn es war ihm
vergönnt, bis in das höchste Alter fortzuschreiten in
seiner Kunst. Er sah mit eigenen Augen, wie das, was er
selbst angebahnt hatte, in den Werken seiner Schüler
zur Vollendung wurde. Zwei Jahre nach seinem
Tode prangte Tizians Assunta auf dem Hauptaltar
der Frarikirche.
Georg Gronau.
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