Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0054
Luca Signorelli, Szene aus Dante's Hölle.
Kreidezeichnung (verkleinert). — London, British Museum.

ihnen zu erfüllen. Deswegen verwendet er es bei
jeder Gelegenheit, die sich ihm bot.

Mit all diesen herrlichen Fähigkeiten ausgestattet
war Signorelli doch nicht allein Künstler um der
Kunst willen. All' seine Talente verschwendete er
an eine fast litterarische Aufgabe, an das Bemühen,
sein Empfinden, seinen Sinn für Werte in plastischen
Formen auszudrücken. Es mag vor ihm Maler gegeben
haben, welche das „Dies irae" ebenso bis ins
tiefste Innere fühlten, wie er; aber er benutzte seine
Begabung für das Heroische, seine Kraft, es uns
mitzuteilen vermöge seiner wunderbaren Herrschaft
über das Nackte, um uns, nur mit den Mitteln
von Form und Farbe, seelisch zu erschüttern, wie
es der majestätisch furchtbare mittelalterliche Hymnus
vermag. Auch andere mögen voll die hingeschwundene
Zaubermacht empfunden haben, welche uns
immerdar unendliches Sehnen erweckt nach den

Mythen von Alt-Hellas,
aber wie konnte solch Empfinden
Ausdruck finden
ohne die majestätische Ur-
kraft solcher nackten Gestalten
, wie er sie in seinem
„Pan" (Tf. 68) geschaffen
hat, diesem erhabenen Sang
voll Preis und Sehnsucht
nach der Welt, als noch die
alten Götter sie erfüllten!
Und doch war Signorelli
nicht mehr heidnisch wie
christlich gesinnt. Ersuchte
einfach das Bezeichnende
in allen Dingen, sog den
geistigen Gehalt in sich auf
und übertrug ihn auf die
herrlichen Gestalten, welche
seine eigene Begabung erschaffen
hatte. Darum ist
er der erste Maler moderner
Zeiten, dessen Phantasie
und Einbildungskraft
zu uns spricht, ohne dass
sie der Bedingung von
Raum und Zeit unterworfen
ist, sondern ewig jugendfrisch
sich erhält.

Und nun ein paar Worte
der Charakteristik. Signorelli
ist zwar häufig ein erlesener
Kolorist, aber häufiger
noch ist seine Farbengebung
ungefällig. Seine natürliche
Anlage bevorzugte einen
bronzefarbigen silberigen Gesamtton, in welchem seine
Jugendwerke gehalten sind und zu dem er in seinen
späteren Jahren zurückkehrte. Doch gewöhnte ihn
die häufige Uebung des Fresko-Malens eine Zeit
lang an eine gelbe Erdfarbe, welche einigermassen
abstossend wirkt. Seine Kompositionen sind oft
überfüllt. Ihm fehlte der göttliche Sinn für Weite
des Raums, der Perugino und Raphael auszeichnet.
Andererseits führte seine Hand den Pinsel mit einer
Kraft, die selten übertroffen worden ist. Einige
seiner späteren Werke sind so breit gemalt, wie die
Werke des alten Rembrandt. Und hierbei sei daran
erinnert, dass Signorelli mit unverminderter Kraft
bis über sein achtzigstes Jahr hinaus thätig war.
Alles in allem war er einer der grössten unter allen
Künstlern, in deren langer Reihe nur einer unzweifelhaft
grösser war als er: dieser eine kein
anderer als Michelangelo Buonarotti.

Bernhard Berenson.

44 -


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0054