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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0057
Quattrocento nicht findet. Es ist der vornehm
geborene Hofmann, den Raffael hier zu malen hatte,
er giebt ihm aber keine vornehme Pose, es ist lediglich
das anspruchslose, zurückhaltende, stille Wesen,
was den Adeligen bezeichnet: die,Verkörperung des
Typus, den Castiglione selbst in seinem Büchlein
vom vollkommenen Hofmann (il cortigiano) aufgestellt
hat. Was das Bild reich macht, ist die
Drehung des Kopfes und das in prächtig grossen
Motiven disponierte Kostüm. Und wie grandios die
Silhouette sich entwickelt! Nimmt man dann etwa
ein älteres Bild zur Vergleichung heran, so wird
man auch entdecken, dass die Figur ein ganz neues
Verhältnis zum Raum bekommen hat, und die
Wirkung der räumlichen Weite, der grossen stillen
Hintergrundsflächen im Sinne der mächtigen Erscheinung
empfinden lernen. Die Hände beginnen
hier schon zu verschwinden. Es scheint, dass man
beim Brustbild die Konkurrenz dieser Teile für den
Kopf fürchtete; wo sie eine bedeutendere Rolle
spielen sollen, geht man zum Format des Kniestücks
über.

Auch das Bildnis der zwei venetianischen Litteraten
, Navagero und Beazzano (Tf. 91), lässt die
Hände fast ganz ausser Spiel. Nach venezianischer
Art erscheinen die zwei Halb-Figuren nebeneinander.
Merkwürdig, dass sie räumlich nicht auszudenken
sind: die Körper müssten sich durchdringen. Das
ist bei der prätendierten Autorschaft Raffaels auffällig
. Im übrigen sind es wahre Musterbeispiele
seiner Charakteristik, die zwei Köpfe sind ganz gesättigt
mit charakteristischem Leben. Bei Navagero
die energische Vertikale, der Kopf mit jäher Drehung
über die Schulter blickend, auf dem Stiernacken ein
breites Licht und im übrigen überall die Kraft des
knochigen Gefüges betont, alles hinarbeitend auf

den Eindruck des Aktiven, und im Gegensatz dazu
Beazzano, die weibliche geniessende Natur mit
weicher Kopfneigung und milder Lichtführung.

Die grosse Auffassung der menschlichen Natur,
die sich in solchen Bildern ausspricht, ist auch den
Frauen zu gute gekommen. Die sogenannte Donna
Velata (Tf. 81) kann als Beispiel einer ideal erhöhten
Frauenfigur genannt werden. Sie ist gewissermassen
eine weltliche Variante der sixtinischen Madonna. Die
majestätische Haltung und das reiche Kostüm mit
dem ruhig zusammenfassenden Kopftuch wirken
hier ebenso stark wie die klassisch vereinfachte
Modellierung und Linienführung. Von hier aus
möge man einen Blick zurückwerfen auf ein frühes
Bild, wie die Maddalena Doni (Abb. S. 45), um
neben dieser noch kleinlichen und unsichern Erscheinung
den römischen Stil in seiner ganzen Kraft
und Grösse zu fühlen. Es handelt sich hier nicht
um Unterschiede des Modells, sondern um Unterschiede
der Auffassung. Auch Agnolo Doni (Abb.
S. 45) ist nicht ganz von .innen heraus gestaltet
worden.

Am merkwürdigsten für uns unter den Jugendbildern
ist das schwärmerische Selbstporträt
(Abb. S. 46). In der Empfindung von den gefühlvollen
Malern des Quattrocento abhängig, giebt der
Künstler in diesem Kopf mit dem elegischen Ausdruck
doch auch Mitteilungen intim persönlicher
Art. Das Bild hat für die ganze romantische Generation
die Vorstellung von Raffaels Persönlichkeit
überhaupt bedingt. Wir dürfen jetzt aber ruhig
sagen, dass der römische Meister diesen sentimentalen
Erguss doch wohl als eine Jugendsünde betrachtet
haben wird. Ein Botticellischer Engel hat
das Schema für dieses Porträt abgegeben, der Kern
der Persönlichkeit ist noch nicht herausgearbeitet.

Heinrich Wölfflin. ,

Composition.

COMPOSITION ist Anordnung des als notwendig
Ausgewählten. Wenn ich weiss, was ich
sagen will, schreite ich an die Wahl der Ausdrucksmittel
, lasse alles Nebensächliche weg und ordne
das Wesentliche zu einfacher, klarer Wirkung. So
lange die Kunst Bilderschrift ist, wie im Mittelalter,
componiert sie überhaupt nicht, sondern setzt ihre
Figuren mit epischem Behagen am Inhalte neben einander
und beachtet kaum die einfachsten Gesetze der
Symmetrie. Erst wenn man erkannt hat, dass die Darstellung
des Menschen an sich die vornehmste Aufgabe
der Kunst ist, erwacht der Sinn für Composition
. Denn kein Gebilde ist so durch und durch
harmonische Composition, d. h. Auswahl des Notwendigen
und Gleichgewicht nach allen Richtungen
hin, wie eben der Mensch. Die griechische Kunst ist
dadurch, dass sie nicht müde wurde, die einzelne,
menschliche Gestalt zu bilden, und dass alle Kräfte an
der Lösung dieser einen Aufgabe mitgewirkt haben, zu
jener Grösse erwachsen, die sie bis auf den heutigen
Tag und wohl noch für eine Weile als „klassisch"
erscheinen lässt. Praxiteles bezeichnet hierin den
Höhepunkt; die Art wie er den ruhigen Körper
hinstellt, Rumpf, Kopf und Beine mit der Stütze
und die Arme untereinander in Beziehung setzt,
wird nur überboten durch die Wirkung, die der
in seinen Gestalten liegende Stimmungsausdruck auf
den Beschauer ausübt. Die christliche Kunst ist


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