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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0088
das Centrum die Seitenteile und setzt sie in Schatten. In der
schmalen Nische steht die volle Frauengestalt, die dadurch, dass
sie fast bis zum Zinnenkranz des Turms hinter ihr hinanreicht,
um so reckenhafter erscheint. In sieghafter Schönheit erhebt
sich das Haupt mit dem entfesselten Goldblond seines Haarschmucks
über dem mächtigen Leib, dessen volle Formen das
in gewaltige Falten gelegte Gewand betont. Sinnend blickt die
Heilige auf den Palmzweig, fast schüchtern erscheint ihre
Haltung im Gegensatz zu ihrer Erscheinung.

58. Quinten Massys (?): Der hl. Hieronymus. Mit der
Empfindung unbehaglicher Scheu zeigt der greise Hieronymus
auf den Totenschädel vor ihm auf dem Tisch. Das vom Nachsinnen
schwere Haupt ist auf die Hand gestützt. Unter dem
Studium der Folianten ist es kahl geworden und sein langer
Bart schneeweiss, und was er entdeckt hat, ist, das jener Totenschädel
das Ende aller menschlichen Weisheit ist. — Die Züge
des Greises sind in ihrer Charakteristik so stark markiert, dass
sie fast die Grenze der Karikatur erreichen. Ein einheitlicher
warmer Farbenton beherrscht das ganze Bild, zu dem leuchtenden
Rot des Mantels und des Kardinalshutes treten nur die verschiedenen
Stufen des Braun an den Holzwänden, dem Tisch
und den Büchern. — Das Bild wird auch (wohl mit Recht)
dem Schüler des Massys, Marinus von Roymerswale (thätig
i52i — 1558) zugeschrieben.

59/60. Giov. Bellini: Thronende Madonna mit Heiligen. Im
Jahre i5o5 malte Giovanni Bellini die Madonna für die Kirche
von S. Zaccaria. Das Bild riss die Zeitgenossen zu staunender
Bewunderung hin, nötigte sogar noch den gegen die Malerei
des Quattrocento ungerechten „Modernen" des Secento eine
gewisse Achtung ab. Der Grund liegt auf der Hand: zum
ersten Male vielleicht herrschen in diesem Bild rein koloristische
Qualitäten. Den Gegensatz von Licht und Schatten durch
weiche Uebergänge zu mildern, dabei aber das Sonnenlicht
wirken zu lassen, wo es hintrifft, dies strebte der Meister an.
Und er war gross genug, zugleich seinen Figuren die weiche,
träumerische Stimmung zu wahren, die seine früheren Bilder
auszeichnet: von dem Zauber, den diese tiefe Stimmung ausübt,
ergriffen, sieht man darüber hinweg, dass eine rechte Verbindung
zwischen den einzelnen Gestalten nicht besteht.

61. Frans Hals: Zigeunermädchen. Die berühmte und unnachahmliche
Malkunst des Frans Hals scheint wie geschaffen,
die nicht von der Kultur oder der Sitte gezähmte Lebenskraft
in der kühnsten Bewegung noch, in der lautesten Aeusserung
noch wiederzugeben. Beim Porträtieren des würdigen Patriciates
der Stadt Haarlem mochte es manchmal geschehen, dass der
Vortrag des Meisters mit dem Inhalt nicht ganz im Einklang
war. Die Modelle seiner Wahl fand Hals in den Tiefen, auf
der Gasse, auf dem Markt, in den Schänken. Er liebte das
Volk wie er die Kinder liebte, weil er den unmittelbaren Ausbruch
des Gefühls und die freie Kraft der Bewegung suchte. —
Die hier abgebildete lachende Dirne stammt aus der Blütezeit
des Meisters, etwa aus dem Jahre i63o. Die Malweise fegt
dahin wie ein Gewitterstuim, und doch ist kein Strich zufällig
oder unnötig. Die Freude an frischer und heller Farbigkeit ist
noch nicht erloschen.

62. Idolino. Den Namen Idolino hat die schöne, im Jahre i53o
in Pesaro gefundene Bronzestatue behalten, auch nachdem man
erkannt hatte, dass sie nicht einen Genius oder Gott vorstellt,
sondern einen griechischen Knaben, der in den Spielen gesiegt
hat. Er bringt, ernst herantretend, das Dankopfer für seinen
Sieg, indem er den Göttern die fromme Spende ausgiesst: so
mögen wir uns die Handlung am besten erklären und uns
denken, dass die jetzt leere rechte Hand einst die Opferschale
hielt. Die Figur ist das Originalwerk eines grossen Künstlers,
um die Mitte oder nicht lange nach den fünfziger Jahren des
fünften vorchristlichen Jahrhunderts entstanden. Es ist nicht
Zufall, dass sie in der frischen, einfachen Natürlichkeit und in
der Anmut der Erscheinung an Werke des Quattrocento, besonders
an die Kunst des Donatello lebhaft erinnert. Durch die
ganze Kunst der zwei so weit auseinander liegenden Epochen
geht ein verwandter Zug. In mehr aber als allgemeinen Zügen
treffen sich die beiden in ihren Werken am persönlichsten sich
gebenden Künstler dieser beiden Epochen Myron und Donatello.
Auf Myron ist der Idolino mit grosser Wahrscheinlichkeit zurückgeführt
worden. — Bei der Wiederanfügung des rechten Armes,
der abgebrochen war, sind die Finger der rechten Hand vielleicht
etwas verbogen. Die jetzt leeren Augenhöhlen waren im
Altertum durch farbige Einlagen ausgefüllt.

63. Lessing: Gewitterlandschaft. Die Landschaften Lessings
enthalten eine Art von romantischer Dichtung. Die Phantasie
des Künstlers lebt in einem Traumland, dem die Natur die
ganze Erhabenheit und Grösse ihrer Erscheinung mitteilt und
mit dessen Bildern Sage und Geschichte auf eigene Weise ver-
Woben sind. Als junger Mann hat Lessing, verlangend nach
voller Sättigung der inneren Anschauung aus solchen Eindrücken,
den Wunsch ausgesprochen: wäre er doch im 17. Jahrhundert
geboren, wie würde er dann das verwilderte, ausgeplünderte
und zerstörte Deutschland als Landschafter durchwandert und
gemalt haben! Noch scheint etwas von jener Stimmung in

unserem Bilde, einem Jugendwerk des Künstlers, nachzuzittern.
Die düstere, wolkenschwere Luft, die rauchenden Trümmer des
Gehöftes links, und vorn im Heidekraut der Erschlagene, an
seiner Seite die Muskete, sie bieten ein ergreifendes Bild von
Sturm und Krieg, von Kampf und Vernichtung.

64. Civitali: Verehrende Engel. Am 26. Oktober 1473 unterzeichnete
Matteo Civitali einen Kontrakt, demzufolge er sich
verpflichtete, ein grosses Marmortabernakel für die Capella del
SS. Sacramento in S. Martino, der Kathedrale Lucca's, zu
meisseln; zu beiden Seiten dieses Tabernakels sollten zwei anbetende
Engel knieen. Von dem gross angelegten, 1478 vermutlich
vollendeten Werke haben sich nur diese beiden Engel
erhalten; das Tabernakel selbst fiel im späten Cinquecento dem
barocken Schönheitssinne eines frommen Schwärmers zum Opfer,
dem Civitali's Werk zu dürftig erschien. Allerdings erreicht
der Meister nicht die gedrungene Kraft eines Quercia, zu dessen
Schüler Vasari ihn irrtümlich macht, noch den spielenden
Reichtum des Desiderio, seines florentiner Vorbildes. Seine
Dekoration wirkt ein wenig leer, seine Faltengebung ein wenig
hart. Die Tiefe der Empfindung aber, mit der er seine Gestalten

, belebt und die vor allem auch die knieenden Engel auszeichnet,
rückt ihn den grossen Meistern seiner Zeit ehrenvoll nah.

65. Raffael: Bildnis des Grafen Baldassare Castiglione.
Unser Bild ist ein Zeugnis der Freundschaft, die den glänzendsten
Weltmann und den glücklichsten Künstler an dem päpstlichen
Hofe verband. Keine hervortretende Leidenschaft, kein
markanter Zug stört die Geschlossenheit, das Gleichgewicht

, dieser harmonischen, in sich ruhenden Erscheinung, die der
Künstler hier zu einem Typus ihrer Zeit erhoben hat, wie
Castiglione selbst ihn in seinem „Cortigiano" als Ideal verfeinerter
Lebenskunst aufstellte. In seiner anspruchslosen
Haltung und dem leichten, fast improvisierten Vortrag gilt das
Werk wegen der vornehmen Färbung als Raffaels feinste
malerische Leistung.

66. Quinten Massys: Der Goldwäger und seine Frau.
Das Bild steht auf der Grenze zweier Epochen, es enthält noch
den ganzen Reiz der Niederländer des i5. Jahrhunderts; nicht
nur d''e Köpfe klingen noch an die Schule der van Eyck an,
auch Nebensachen wie der Spiegel, der das gegenüberliegende
Fenster zurückwirft, ist ein Rest Eyck'scher Liebhaberei. Aber
in der regen Aktion der Hände, die in fast gesucht prägnanten
Momenten vom Künstler festgehalten sind (man vergleiche zum
Gegensatz das Bild des Petrus Christus, Text S. 34), zeigt sich
die neue Zeit, die drastischer wirken will, in der weicheren
Malweise, den weniger reinen Farben der Anfang einer koloristisch
anders denkenden Generation.

67. Jan Massys (?): Die Geizhälse. Wie man aus der lesbar
ausgeführten Schrift des Buches noch feststellen kann,
notiert der eine der beiden Alten die verschiedenen Geldsorten.
Jeder Zug des formenreichen Gesichtes ist studiert, das merkwürdige
Ohr sollte durch seine Kuriosität den Beschauer reizen,
der festgeschlossene, etwas vorgeschobene Mund giebt zusammen
mit den gekrümmten Fingern der federführenden Hand
die Ueberzeugung, dass die komplizierte Thätigkeit des Zählens
und des gleichzeitigen Schreibens den Mann vollständig in Anspruch
nimmt, ohne einem andern Gedanken Raum zu geben.
Der Kollege dagegen hat Zeit, sich der Schätze zu freuen, er
möchte lächeln, aber sein von Gier entstelltes Gesicht bringt es
nur zu einer Fratze.

68. Signorelli: Pan als Gott des Naturlebens mit seinen
Begleitern. Wahrscheinlich im Auftrag des Lorenzo de'Medici
malte Signorelli das Bild des Pan, wie er sich mit seinen Begleitern
unter die Hirten mischt. Der Stoff, den ihm einer der
gelehrten Freunde des Medicäers vermittelt haben mochte, bot
dem Künstler unbeschränkt Gelegenheit zu zeigen, in welchem
Masse er die Wiedergabe des Nackten beherrschte. Wenn heute
das Werk selbst zuerst befremdet, weil unter dem Einfluss der
Zeit die Farben sich verändert haben, besonders das Grün der
Untermalung sich unangenehm bemerkbar macht, so kann man
sich auf die Dauer dem Eindruck des souveränen Könnens,
wie diese Akte frei bewegt wiedergegeben sind, nicht entziehen,
Signorellis Bild ist eine der seltenen Neuschöpfungen von Gestalten
der antiken Kunst, welche, trotz aller Verschiedenheit
der Tendenz, sich neben den Schöpfungen der Alten selbständig
behaupten, unser Interesse kaum minder erregen als
jene Werke der klassischen Zeit.

69. Tänzerin aus Herkulanum. Die Figur gehört zu einer
Gruppe von sechs unter dem Namen der Tänzerinnen bekannten
Bronzestatuen, die neben vielen anderen Kunstwerken von Marmor
und Bronze einer grossen in den Jahren 1753 bis 1761
ausgegrabenen Villa in Herkulanum zum Schmuck dienten. Sie
waren im Garten der Villa unter einer Säulenhalle aufgestellt.
Aber sie sind nicht von vorn herein dazu bestimmt gewesen,
das Haus eines reichen Römers zu zieren. Der Besitzer der
Villa, der, wie viele der Vornehmen seiner Zeit, Kunstliebhaber
und Sammler war, hat sie vermutlich im Künsthandel und wahrscheinlich
aus Griechenland erworben, wo sie in alter Zeit
einem Heiligtum angehört haben mögen. Der Name Tänzerinnen
passt nicht eigentlich für die Figuren, die alle in ver-

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