http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0096
I51.jl52. Cellini: Perseus. Unter den Arbeiten Cellinis nimmt
der Perseus nicht nur deshalb einen hohen Rang ein, weil er
seine einzige grosse Skulptur ist. Für eine gewisse Ueberladen-
heit und Unruhe der Einzelformen, die sich aus der Schwierigkeit
erklärt, das bisher an feine Goldschmiedsarbeit gewöhnte Auge
zur Erfassung der bestimmenden Hauptformen zu erziehen, bieten
der effektvolle Aufbau der Gruppe und der Ernst des Naturstudiums
wohl hinreichenden Ersatz. Zwei noch erhaltene
Modelle bezeugen, mit welcher Sorgfalt der Meister komponiert
hat. Für einige Sonderlichkeiten, wie z. B. den seltsam verrenkten
Leib der getöteten Medusa, ist nicht so sehr der Künstler
als die Zeit verantwortlich, die an der künstlerischen Darstellung
solcher Gesuchtheiten Gefallen fand. Die eminente Sauberkeit
der technischen Ausführung ist stets ein besonderer Ruhmestitel
des Werkes gewesen; der überaus zierliche Sockel verrät die
Erfindungskraft und die Geschicklichkeit des bewährten Goldschmieds
. In seiner Selbstbiographie, die seit Goethes überlegen
humorvoller Uebersetzung Cellini fast volkstümlicher gemacht
hat als seine Werke, hat er mit der ihm eigenen temperamentvollen
Redseligkeit die Geschichte des Perseus aufgezeichnet
(Buch IV, Capitel 3 — 6).
153. Frans Hals: Bildnis eines Admirals. Der Mann in
mittleren Jahren, der mit einem Brustpanzer und mit einer
breiten Schärpe dargestellt ist, wird aus keinem anderen Grunde
„der Admiral" gewöhnlich genannt, als weil der Blick durch
ein breites Fenster im Grunde auf Baumwipfel fällt und auf
das Meer. Fast nie sonst auf einem Einzelbildnis des Haarlemer
Porträtisten wird eine landschaftliche Aussicht gefunden. Der
Wasserspiegel mag andeuten, dass der scharf und ein wenig
von oben herab, nicht ohne Humor den Beschauer anblickende
Krieger auf der See zu Hause war. — Das Gemälde stammt
aus der mittleren Zeit des Meisters, etwa aus dem Jahre 1635,
und zeigt bei sehr kräftiger Modellierung eine klare und durchsichtige
Färbung. Wie fast alle Porträts, die Hals in dieser
Zeit geschaffen hat, nimmt das Bild teil an der heiteren und
lebensfrischen Stimmung und hält eine dem Dargestellten
charakteristische momentane Bewegung mit erstaunlicher Sicherheit
fest.
154. Siberechts: Viehweide. Der sehr seltene, kaum in seiner
Bedeutung gewürdigte Jan Siberechts steht mit entschiedener
Eigenart ausserhalb des Kreises seiner vlämischen Zeitgenossen.
Als treuer, dabei freilich etwas trockener Beobachter des
heimischen Landlebens übertrifft er den hoch berühmten Teniers
an Naturwahrheit. In manchem Betracht näheit er sich den
Holländern, von denen er sich wieder sehr bestimmt durch die
Wahrheit seines Freilichttones unterscheidet. Der Meister liebt
ganz schlichte Motive, die er ohne jede formale oder anekdotische
Stutzung breit und etwas temperamentlos entwickelt.
Er verfügt über einen gesunden und k äftigen Vortrag und bevorzugt
einen kühlen graugrünlichen Gesamtton, der sehr schön ist.
155. Chardin: Eine Mutter mit ihrem Sohne. Das Bild
ward früher öfters citiert unter der verkehrten Bezeichnung
„La Gouvernante". Die Sphaere, die uns Chardin schildert, ist
die, in der er lebt, die eines wohlsituierten Bürgerstandes, in der
die graciöse und doch zugleich so praktische französische Hausfrau
— damals wie heute — Hausstand und Kindererziehung
mit energischer Hand selbst leitet. Man mag sich den Anlass
zu diesem Gespräch zwischen, dem Söhnlein, bei dem das
würdige Röckchen und das echte Kindergesicht einen amüsanten
Kontrast bilden, und der Mutter, die im Begriff ist, den Dreispitz
des Sohnes zu bürsten, ausmalen, wie man will; nicht etwas
Episodisches, sondern etwas Zuständliches will uns Chardin
schildern, ebenso Künstler in der Wahl seines Stoffes, wie in
der breiten, in bläulichkühlen Tönen gehaltenen Malweise.
156/157. Veronese: Das Gastmahl Gregors des Grossen.
Als Papst Gregor der Grosse zur Abendtafel, wie er es gewohnt
war, zwölf Arme um sich versammelt hatte, da fand sich zu
seinem Erstaunen ein fremder Pilgrim ein, von dem niemand
etwas wusste; er brachte ihm eine goldne Tafel: es war Christus
selbst. Wer den schönen Mythus nicht kennt, der würde schwerlich
imstande sein, ihn aus dem Bilde Veroneses hera-iszulesen;
ja, wären die Engel nicht, die oben zu Häupten Christi und des
Papstes schweben und das Spruchband: „Der Friede des Herrn
sei immer mit Euch" halten, man würde denken, hier eine
Scene weltlichen Prunkes, die Abschilderung der Tafel eines
Renaissancepapstes vor sich zu haben. Mit Vorliebe hat Paolo
Veronese solche Werke geschaffen, zu welchen der Wunsch
der Besteller und der Ort, für den die Bilder bestimmt waren
(die Hauptwand eines Refektoriums), Veranlassung gaben: die
„Hochzeit zu Cana", „Christus im Hause des Levi" und andere
Werke weichen nur wenig von diesem Bilde ab. Überall baut
er einen prächtigen Säulenbau auf im Sinne der vollentwickelten
Hochrenaissance, die Gäste wetteifern miteinander durch die
Pracht der Kostüme, eine Schar von Dienern trägt in Prunk-
gefässen die Speisen auf, an Zuschauern fehlt es nicht, und
selbst Tiere werden abkonterfeit. Auf unserem Bilde ist die Anordnung
der beiden Treppen besonders beachtenswert; zur linken
drängen Arme herbei, um von den Speisen etwas zu erhalten,
rechts kommen Diener mit neuen Gerichten: der Edelmann
vorn, der gespannten Blickes zum Heiland hinüberschaut und
die Hand auf die Brüstung stützt, trägt angeblich die Züge des
Künstlers.
158. Majano: Maria mit dem Kinde. Auf dem blauen
Sockelfriese dieses Madonnenbildes stehen in Goldbuchstaben
die Worte MATER GRATIAE, Mutter der Gnade. Wir haben
demnach ein Votivbild vor uns, zu dem die Gläubigen wall-
fahrteten und vor dem sie mit inbrünstigen Gebeten knieten.
Dieser Bestimmung entspricht auch die Komposition der Gruppe.
Das Christkind scheint sich segnend mit plötzlicher Bewegung
nach rechts einer heranwallenden Schar frommer Beter zuzuwenden
, und damit sind die Bewegungsmotive für alle Teile
der Gruppe bestimmt. Maria muss das unruhig gewordene
Kind mit der Linken stützen und mit der Rechten die Binde
straff anziehen, um den kleinen Körper im Gleichgewicht zu
halten. Aus ihrer sinnenden Ruhe dadurch aufgeweckt, wendet
sie den Kopf in anmutiger Bewegung den Vorgängen der Aussen-
welt zu. Bis ins Kleinste ist dieses Werk Benedettos eigenhändige
Schöpfung aus seiner früheren Zeit, um 1480. Vor
einem prachtvollen orientalischen Teppich aufgestellt, breitet
das Werk, wie ehemals in dem alten toskanischen Kloster, aus
dem es kam, jene wunderbare Stille um sich, die nur den unberührten
Werken aus grosser Zeit eigen zu sein pflegt.
159. Millet: Die Kirche von Greville. Eine stille Dorfkirche
nahe am Meer. Den Friedhof am breiten unschönen Gotteshaus
säumt eine niedrige Mauer aus Feldsteinen. Am Wegrand
rupfen Schafe das Gras. Vorn im steinigen Feld mag man sich
Millet denken, im blauen Kittel, mit Holzschuhen zwischen den
Schollen stehend. Er sieht, dass sich im klaren Licht der Dachfirst
der Kirche so flimmernd vom hellen Himmel löst, dass der
schwere Schritt des Bauern auf dem Wege die Vögel schreckte,
die dann den plumpen Turm umflattern; er sieht das kleine
Stückchen Meer am dunstigen Horizont, die Schafe als weisse
Flecken aus dem Schatten aufleuchten, die Baumgruppe so
duftig neben der Kirche, das Feld dicht vor seinen Füssen in
seiner Aermlichkeit. Es fehlt freilich, was anderen Bildern
Millets heller klingenden Ruhm verschaffte, die grossfigurige
Staffage aus dem Feld zugehörig herauswachsend. Bestimmter
aber als in seinen berühmteren grosszugigen Gemälden und mit
weichem Gefühl giebt er Luft und Licht und den heimischen
Ton des Landes im Bilde dieser einfachen stillen Dorfkirche.
160. Dampt : Der Kuss der Grossmutter. Unter den
Künstlern um Rodin hat Dampt vor allen die Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. An Rodin erinnert er in der malerischen
„impressionistischen" Marmorbehandlung, ferner in der Manier,
wie er wohl die Figuren aus dem unbehauenen Stein hervorwachsen
lässt. — Dampt ist vielseitig und fast stets interessierend
; er hat aber ein Sondergebiet, wo er selbständig
schöpferisch aufgetreten ist: das plastische Kinderbild. Französische
Kritiker haben nicht zu viel zu sagen geglaubt, wenn
sie ihn in dieser Hinsicht mit Donatello in einem Athem nannten.
Bei der abgebildeten Gruppe ist es der Gegensatz des welken
Kopfes der Ahnin, die zaghaft mit zahnlosen Lippen die Stirn
des geliebten Kindleins berührt, zu den Zügen des kleinen
Wesens in ihren Armen, das erst halb zum Leben erwacht
noch nicht die seelische Regung des Dankes für Zärtlichkeit
empfindet, der Gegensatz des sich zum Ende neigenden und
des kaum erwachten Lebens, was mit unübertrefflicher Wahrheit
vorgetragen tief ergreifend auf uns wirkt.
Berlin, Druck von W. Büxenstein.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_01/0096