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Anton Raffael Mengs, Selbstbildnis
Dresden, Kgl. Gemäldegalerie. Pastell, h. 0.55, br 042.
zunehmender Energie, in allen den Arten von Bildnissen
, die nicht wie die bisher erwähnten in erster
Linie den echten oder unechten Glanz darstellen
wollen.
Das ganz schlichte Bildnis, das den Menschen
meist in halber Figur, mit Armen und Händen oder
ohne sie, auf einem neutralen oder in Landschaften
und Binnenräume geöffneten Hintergrunde möglichst
treu wiedergiebt, also das Bildnis, das eine
geliebte oder geachtete Person der Achtung und
Liebe ihrer Angehörigen und Zugethanen in den
körperlichen Zügen erhält — dieses Bildnis des
Herzensbedürfnisses ist, so lange es eine Porträtmalerei
giebt, in Gebrauch gewesen und ist in allen
malenden Ländern gepflegt worden. Es ist, seinem
Wesen nach, der Mode unterworfen, aber nicht in
der Grundauffassung, sondern nur in den Aeusser-
lichkeiten, d. h. in der gerade herrschenden Malweise
und im Zeitkostüm; im übrigen hält es sich
streng an den Gegenstand, der sich im Wesen ja
immer gleich blieb, und sucht ihn allenfalls durch
genrehafte Ausführungen weiter zu charakterisieren.
Ebendeswegen, weil es nach Wahrheit trachtet, giebt
es sich weniger als die änderen, die Historienbilder,
mit der Nachahmung sonst beliebter Muster
ab. Und so steht das deutsche realistische
Porträt im achtzehnten Jahrhundert nur
insofern im Zeichen des gleichzeitigen
französischen, als die französische Maltechnik
, man kann sagen: kampflos, alle
anderen Techniken in Deutschland verdrängt
hatte und eine eigenartige, deutsche,
noch lange nicht aufkommen Hess. Man
wendete also, bei etwas anspruchsvolleren
Bildnissen, nach Art der Franzosen mit Vorliebe
lebendige Stellungen an; eine stark betonte
Wendung des Körpers, eine sprechende
Geste, einen scharfen oder geistreichen Blick,
ein gefälliges Lächeln; im Hintergrunde eine
Anordnung von Vorhängen, die sich etwa an
eine Säule schliessen und wirksame Falten
und Farbenkontraste schaffen; zur Seite der
Figur vielleicht einen Tisch mit Gegenständen
, die sich auf den Beruf oder die
Liebhaberei des oder der Abgebildeten beziehen
. Zu diesem wirkungsvollen Arrangement
stimmten auch die leuchtenden Farben,
in die Männer und Frauen sich damals
kleideten, und überhaupt die reichen Gewänder
: die grossen Roben, die sammetnen,
gestickten Röcke, die seidenen Westen, die
Spitzenjabots und Manschetten, aus deren
weichem Gefälte die Hände so vorteilhaft
sich abheben; auch die weissen Perücken,
die das Gesicht so frisch, die Augen so
leuchtend erscheinen lassen, gaben eine erwünschte
Note, die man sich nicht entgehen Hess.
Allerdings erreichte kein einziger deutcher Maler
jener Zeit auch nur annähernd den Geschmack, die
sichere Schulung und die Gewandtheit der französischen
Kollegen; und so wären nur wenige deutsche Namen
hier der Erwähnung wert. Fast alle guten Bildnisse
der Perücken- und Zopfperiode, die wir in Museen
und Schlössern sehen oder die sich noch in Privatbesitz
befinden, sind von eingewanderten Franzosen
gemalt, und neben ihnen fallen die deutschen Bildnisse
sehr bald durch eine gewisse Schwerfälligkeit
auf. Wie derb erscheinen die an sich sehr tüchtigen
Porträts von Johann Kupetzky! Wie ungeschickt
setzt Wilhelm Tischbein seinen drapierten Goethe
auf die antiken Marmorblöcke in der römischen
Campagna! Aber gerade wie bei diesem letztgenannten
Bilde der Kopf mit Tiefe und nicht ohne
Kraft aufgefasst ist, so zeigen die deutschen Talente,
im Gegensatz zu den französischen, überhaupt einen
energischen Zug, der weniger nervös als charaktervoll
ist und der auf einen neuen, gründlicheren Realismus
hinweist und hinarbeitet. Dieser Realismus im
Bildnis wird mit Verdienst und Erfolg von Anton
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