http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0019
wesen. In der älteren und ebenso wieder in der
jüngeren Zeit waren auffallende Toiletten und komplizierte
Frisuren Mode, und man sah sich gern in
reichem und schwerem Schmuck, an dem oft genug
das kostbare Material, nicht die Feinheit der Arbeit
das Wertvollste war.
In der Zeit, in der diese Tanagrafiguren entstanden
sind, zogen die Schöpfungen des Praxiteles
aller Augen auf sich. Von seiner Kunst ist viel in
diese kleinen Werke der Thonbildner übergegangen.
Liebe, Jugend, Schönheit ist das Thema, das am
beliebtesten und das der damaligen Gesellschaft am
verständlichsten war, wie sie sich ebenso im Theater
an den graziösen Versen und feinen Scenen am
meisten erfreute, in denen die Dichter des bürgerlichen
Lustspiels Freud und Leid der Verliebten
schilderten. Leicht spielen die Künstler die Darstellung
des Natürlichen und Wirklichen in das Gebiet
des Idealen hinüber und vermischen Göttliches
mit Menschlichem, so dass es bei manchen Figuren
schwer ist, zu sagen, ob ein einfaches Mädchen,
oder eine Nymphe oder Muse oder die Liebesgöttin
selbst gemeint ist. Die Begleiter der Aphrodite, die
Eroten, gesellen sich zu den Mädchen und sie
kommen hier zum erstenmal nicht mehr in ihrer
alten Gestalt, sondern als Putten, die mit den Mädchen
schäkern und spielen, aber keine Herzen verwunden.
Praxiteles hat die Darstellung des schelmischen
Kindes — wir erinnern an seine Statue des Hermes mit
dem kleinen Dionysos (vgl. Bd. I Taf. 157) — populär
gemacht. Von da an hat das Motiv, ähnlich wie in
der Renaissance, die Kunst Jahrhunderte lang beschäftigt
: noch in den pompejanischen Wandgemälden
spielen die Putten eine grosse Rolle. Am schnellsten
aber ist es von den Thonbildnern aufgegriffen und
weitergebildet. Die Eroten sind nun ganz im Dienste
und im traulichen Verkehr mit den Mädchen. Sie
bringen Spielzeug und Schmucksachen, Toilettengerat,
Spiegel, Schuhe und Fächer herbei. Sie fliegen den
Mädchen zu, begleiten sie beim Ausgang, leisten
ihnen Gesellschaft beim Alleinsein. Das ist immer
mit Humor und Anmut geschildert und noch ganz
ohne Sentimentalität, die erst die Frucht späterer
rührseligerer Zeiten war. An munteren Einfällen
sind gerade diese Erotendarstellungen reich. Einer
•der hübschesten hat zu den männlichen Putten
weibliche hinzuerschaffen, die nun den Mädchen und
Frauen alles absehen und mit dem Kostüm auch die
Koketterie ihrer Gebieterinnen annehmen, nicht ohne
einen leisen Zug schalkhafter Ironie durchblicken zu
lassen.
Die Thonfiguren sind in grosser Menge erhalten.
Dadurch können sie nach vielen Seiten hin das Bild
vervollständigen und anschaulicher machen, das von
-der griechischen Kunst durch die wenigen, zufällig
erhaltenen Werke der grossen Meister nur sehr
lückenhaft überliefert ist. So wird uns z. B. die
Beschreibung von Aetions berühmten Gemälde der
Alexanderhochzeit (vergl. Bd. II S. 52), in dem
die Schar zärtlicher Eroten, die den König und
seine Geliebte umflatterten, ein sehr hervorstechender
Zug gewesen sein muss, erst recht verständlich
durch den Puttenschwarm der Terrakotten.
Von anderen Gemälden, die nur aus einer dürren
farblosen Inhaltsangabe bekannt sind, lassen die
Thonfiguren wenigstens den Charakter ahnen; freilich
nicht von den grossen, unter dem Einfluss der
Tragödie geschaffenen mythologischen Kompositionen
. Denn dieses
Gebiet lag den
Thonbildnern gänzlich
fern. Wohl aber
von kleineren Bildern
, wie sie im
vierten Jahrhundert
namentlich der sogenannten
Sikyoni-
schen Schule eigentümlich
waren, der
nach dem Zeugnis
des Altertums der
„Kothurn und die
Würde" abging, die
dagegen in der Feinheit
der Technik, in
der Zartheit und
Sorgfalt der Ausführung
unerreicht
war. Ein Sieger
auf dem Wagen,
Opferscenen, Knaben
, Gruppen von
Frauen und Männern
, Asklepios mit
seinen drei Töchtern, dann andere, denen sich Namen
aus der Sage leicht beilegen Hessen, die aber im
Grunde nichts waren, als Spiegelbilder der Gesellschaft
, werden von den Malern dieser Schule genannt.
Wir rücken ein Paar von den Thonstatuetten zu
einer Gruppe zusammen, und erhalten ein Bild, in
dem jene Gemälde wieder lebendig werden, ein
Situationsbild ohne Handlung, voll ruhiger Grazie
und einfacher Natürlichkeit.
Mit der Malerei sind die Terrakotten auch durch
die Farbe in engerer Beziehung. In der Regel dient
ein dünner weisser Ueberzug als Grundierung, auf
diesen sind die Farben aufgetragen. Sie haben sich
im ganzen gut erhalten, häufig hat allerdings bei
den Stücken, die ihren Weg durch den Kunsthandel
genommen haben — und dies trifft grade für viele
Thonfigur aus Tanagra.
Berlin, Neues Museum.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0019