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der feineren Tanagrafiguren zu — der Pinsel des
modernen Restaurators nachgeholfen, aber doch
meist in der durch das Erhaltene gewiesenen Richtung
, so dass der ursprüngliche Eindruck der Bemalung
nicht zu oft wesentlich gestört ist. Die
Farben sind immer als ganze, reine Töne aufgesetzt,
so dass der Wechsel von Hell und Dunkel lediglich
durch die Körperlichkeit der Form, durch Licht
und Schatten der beleuchteten und nicht beleuchteten
Teile, durch die Höhen und Tiefen der Modellierung
hervorgebracht wird, ohne dass diese Wirkung durch
Abstufungen von Hell und Dunkel innerhalb der
Farbentöne selbst verstärkt wäre. Die Farben sind
im ganzen zart und licht. Mit Vorliebe sind rötliche
und bläuliche Töne in verschiedenen, aber
selten sehr lebhaften Nuancen verwendet, auch reines
Weiss spricht in dem Gesamtbilde stark mit. Daneben
hat man für Details Violett, Gelb, Braun,
sehr selten dagegen Grün gebraucht und hier und
da etwas Gold aufgesetzt. So geht das Ganze in
einem sanften Gleichklang bunter Töne zusammen.
Die Bemalung trägt einen konventionellen Charakter.
Diesen Charakter hat auch die eigentliche Malerei
derselben Zeit gehabt. Der koloristische Eindruck
muss ganz ähnlich gewesen sein wie bei den Terrakotten
. Die Farbentöne waren dieselben und die-
Behandlung verwandt, denn Licht und Schatten
wurden zwar unterschieden, aber in der Nüance des
Lokaltones durch Auflichten oder Vertiefen gegeben.
Die Zeichnung, bis zur äussersten Feinheit durchgebildet
, war die Hauptsache, sie wurde unterstützt
durch die farbigen Töne. Eine eigentliche malerische
Behandlung, die Entwicklung der Form aus der
Farbe heraus, bereitete sich in einzelnen Ansätzen
wohl vor, ist aber erst in der nachfolgenden hellenistischen
Zeit zur wirklichen Ausbildung gelangt,
Von da an sind dann auch die Wege der Malerei
und der Plastik weit auseinander gegangen.
Wie eng sie vorher zusammenliefen, sind wir
erst seit kurzem in der Lage genauer zu beurteilen,
nachdem der glücklichste Zufall ein grosses und
hervorragendes Marmorwerk aus dem Ende des
vierten Jahrhunderts v. Chr., den sog. Alexandersarkophag
von Sidon (vgl. Bd. I Taf. 46) in der
ganzen Pracht und vollen Frische seines ursprünglichen
Farbenschmuckes uns neu zugeführt hat.
Dieser Fund bestätigt, was früher nur vermutet
werden konnte, dass die farbigen Terrakotten ein
Abbild geben von der farbigen Marmorplastik.
Praxiteles hat die schönsten seiner Figuren von dem
Maler Nikias bemalen lassen. Die Farbentönung der
Figuren auf seinen Gemälden hat dieser Künstler
gewiss nicht anders behandelt, als die Tönung der
Praxitelischen Statuen. Für diese verlorenen Werke
der Plastik treten die Thonfiguren ein und geben
uns zugleich die verlorenen Gemälde wieder.
Die Tanagrafiguren sind vermutlich in Tanagra
selbst gearbeitet worden. An vielen Orten in
Griechenland, wo die Erde ein geeignetes Thonmaterial
lieferte, gab es neben den Töpfereien Werkstätten
der Koroplasten, und allenthalben hatte die
Ware je nach der Güte des Thones und nach der
grösseren oder geringeren Geschicklichkeit und Sorgfalt
der Arbeiter ihren besonderen Charakter. Von
verschiedenen Stellen sind den Tanagräischen etwa
gleichzeitige Terrakotten erhalten, darunter besonders
aus Athen und Korinth Figuren, die mit den schönsten
von Tanagra den Vergleich nicht scheuen. Aber
diese Industrie hat nicht nur im vierten Jahrhundert
geblüht. Ueber den ganzen Zeitraum hin, den die
griechische Kunst durchlaufen hat, von den frühesten
Anfängen an bis hinab in das erste Jahrhundert
vor unserer Zeitrechnung sind die kleinen Thon-
figürchen in Massen fabriziert und in den Handel
gebracht. So gehen sie als ständige bescheidene Begleiter
neben den grösseren Werken der Plastik und
Malerei her, und wiederholen, immer abhängig und be-
eirtflusst von ihnen und allen Stilwandlungen und Entwicklungsphasen
folgend, im Kleinen das Bild der
Geschichte der Kunst, das jene im Grossen geben.
Franz Winter.
Bäcker. Thonfigur aus Tanagra.
Berlin, Neues Museum.
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