http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0021
Puvis de Chavannes, „Inter artes et naturam".
Wandgemälde im Museum zu Rouen.
Die Bedeutung der Farbengebung.
DER Umstand, dass die Mittel noch nicht gefunden
sind, um die Farben der Gemälde auf
mechanischem Wege wiederzugeben, erschwert es
dem Beschauer, der meist auf die Nachbildungen
angewiesen ist, wesentlich, sich von dem Aussehen
der Originale eine richtige Vorstellung zu machen.
Wer freilich bereits eine Anzahl Bilder aus den
Hauptzeiten der Kunstentwicklung wie aus den
verschiedenen Lebensperioden der hervorragendsten
Künstler gesehen hat, wird sich ohne besondere
Mühe durch Rückschluss auf verwandte Erzeugnisse
das farbige Aussehen eines bestimmten Bildes ungefähr
wiederherstellen können, da die Farbengebung
im Grossen und Ganzen dieselbe Stetigkeit in den
Entwicklungsstufen der Völker wie der Künstler
zeigt, wie die übrigen Bestandteile der Malerei.
Wie wenig Menschen sind aber in der Lage, sich
eine hierfür ausreichende Kenntnis der verschiedenen
Arten der Farbengebung anzueignen; wie schwer
haften die Eindrücke gerade dieser Art im Gedächtnis
; und wie wenig Gewicht pflegt man überhaupt
auf die farbige Erscheinung eines Bildes zu
legen. Hat sich doch infolge unserer Gewöhnung
an die farblosen Wiedergaben durch Stich und
Photographie mehr und mehr die Anschauung herausgebildet
, als stelle die Farbe, weil man meist
auch ohne sie einen halbwegs ausreichenden Eindruck
von dem Wesen eines Gemäldes erhalten
kann, nur einen nebensächlichen, also untergeordneten
Bestandteil des Ganzen dar, der ebensogut
auch anders hätte ausfallen, ja am Ende gar
ganz hätte fortfallen können, während man Umriss
und Schattengebung für das feste Gerippe und den
eigentlichen Kern eines Bildes zu halten pflegt.
Nichts ist aber falscher als diese Anschauungsweise
, die sich erst zu einer Zeit hat ausbilden
können, da der Sinn für das Malerische durch das
verkehrte Streben nach einer plastischen, reliefartigen
Wirkung bereits zurückgedrängt worden war. Nicht
nur bildet die Farbe einen den übrigen durchaus
gleichgeordneten Bestandteil innerhalb eines Gemäldes,
sondern sie giebt geradezu den Ausschlag bei dem
Eindruck, den ein Bild auf den Beschauer macht;
denn im letzten Grunde ist das Streben des Malers
auf die Darstellung der Farbe gerichtet. Das sieht
man daraus, dass dort, wo es gilt, die feinsten
Unterschiede festzustellen, also z. B. den Meister
eines bestimmten Werkes ausfindig zu machen, das
Original von einer Kopie zu unterscheiden, meist
die Farbe die Entscheidung herbeizuführen hat.
Sie, die nur mit Mühe und nur annäherungsweise
nachgeahmt werden kann, stellt den persönlichsten,
am schwersten zu fassenden, durch andere Mittel
überhaupt nicht voll auszudrückenden Inhalt des
Kunstwerkes dar, bildet daher auch das schärfste
Unterscheidungszeichen zwischen einem Werke der
Malerei und dem Erzeugnis einer der Schwesterkünste
. Wohl tritt sie je nach der Behandlungs-
weise und nach der Bestimmung der Werke mehr
oder weniger stark hervor, weshalb man eine Reihe
scharf gesonderter Arten der Farbengebung, die
nicht etwa bloss historisch zu erklären sind, sondern
in dem Wesen der Malerei selbst ihren Grund haben,
voneinander unterscheiden kann: immer aber wird
die Farbe in den Werken der Malerei die Be-
krönung des Gebäudes bilden, das der Künstler
aufführt.
Es hat ja Zeiten gegeben, in denen das farbige
Element so stark zurückgedrängt worden ist, dass
es thatsächlich nur eine ganz untergeordnete, äusser-
liche Rolle spielte, also ebensogut oder noch besser
ganz hätte fortbleiben können; das waren solche
9 -
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/das_museum_02/0021