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Zeiten, die entweder der Zeichnung, also dem Um-
riss, oder der Modellierung, also der plastischen
Herausarbeitung der Gestalten, ein so einseitiges
Uebergewicht gönnten, dass das Werk den Charakter
eines Gemäldes überhaupt verlor und zur zeichnerischen
Nachbildung eines Erzeugnisses der Plastik,
sei es eines Reliefs, sei es einer freistehenden Figur
oder Gruppe wurde. So hat jene klassizistische Zeit,
die zu Ende des vorigen und zu Anfang unseres
Jahrhunderts herrschte, einseitig den Umriss betont,
den sie nur durch etwas Modellierung und Färbung
zu heben suchte. Da sie nicht über die Wirkung
eines an die Fläche gebannten Reliefs hinausstrebte,
blieb sie im Grunde Zeichnung. — Für Michelangelo
andererseits war die Modellierung wiederum alles,
die Farbe nur eine Zuthat, deren Anbringung er
wohl auch, wie z. B. bei der Auferweckung des
Lazarus, anderen, hier dem Sebastiano del Piombo,
überliess; er blieb also auch in seinen Malereien
stets der Plastiker. — Gerade solche Einseitigkeiten
zeigen aber, dass Zeichnung und Modellierung nicht
als Vorstufen und blosse Vorbereitungen für die
Färbung angesehen werden dürfen. Denn in den
Werken der wirklichen Malerei sind sie, wo sie
angewendet werden, von der Farbe nicht zu trennen.
Dass beide für sich allein schon Daseinsberechtigung
besitzen, ändert an dieser Thatsache nichts. Wohl
aber spricht dafür der Umstand, dass der eine dieser
beiden Bestandteile, nämlich die Modellierung, wie
wir gleich sehen werden, auch vollständig fortfallen
kann, ohne dass das Ganze dadurch eine Einbusse
zu erleiden braucht.
Durch einige moderne Impressionisten ist freilich
andererseits der Versuch gemacht worden, das
Bild in gleich einseitiger Weise allein auf der Farbe,
unter Auflösung der Form und zwar gerade des
Umrisses, aufzubauen. Doch sind befriedigende Ergebnisse
damit nicht erzielt worden, wie sie auch
nicht denkbar sind, da Form wie Farbe nur durch
die Umgrenzung bestehen.
Im übrigen herrschen innerhalb des Gebietes der
Male ei die verschiedensten Arten, die Farbe zu verwenden
und zu betonen. Am stärksten kommt sie
in der rein dekorativen, von der Modellierung ganz
oder so gut wie ganz absehenden Malerei zur
Geltung. Hier kann sie frei nach Willkür gewählt
werden, da es sich dabei nicht um das treue Abbild
eines Natureindruckes handelt, sondern nur um die
Erzielung einer für das Auge wohlgefälligen Wirkung,
die sowohl durch die Gegenüberstellung stark voneinander
abweichender Farben wie durch den
Zusammenklang einander nah verwandter Töne
herbeigeführt werden kann. In beiden Arten haben
die Japaner Mustergiltiges geleistet. Die Malerei
der Griechen scheint während ihrer Blütezeit auf
diesem Grundsatz der Dekoration beruht zu haben,
während sie später und so auch die der Römer
mehr naturalistische Wirkungen erstrebte; zum
dekorativen Prinzip kehrten dann wieder die Byzantiner
zurück, deren Richtung sich durch die Schule
Giottos wie andererseits die frühgothischen Schulen
Nordeuropas hindurch bis zur Begründung der
Renaissance durch Masaccio und die Van Eycks
fortsetzte.
Während des 15. Jahrhunderts wandelte nur
noch Piero della Francesca, bei dem die Modellierung
auf das geringst denkbare Mass zurückgeführt ist,
diese Pfade. In der neuesten Zeit aber hat Puvis
de Chavannes eine ähnliche Behandlungsweise wieder
zu Ehren gebracht. Umriss und Farbe gehen dabei
gesondert nebeneinander her, indem der Umriss
auch für sich allein genommen, die Farbe aber beliebig
gewechselt werden kann; die Farbe dient jedoch
dabei weder den Zwecken der Raumdarstellung noch
denen der Modellierung, sondern beansprucht für sich
eine selbständige Bedeutung, die umsomehr abgeschwächt
werden muss, je näher man dem Naturvorbilde
bleiben will. Daher das teppichartige Aussehen
dieser stilisierten Malereien gegenüber der
kräftigen Wirkung, die in dem reinen Ornament
erzielt werden kann. Wie weit sich dabei der
Künstler vom Naturvorbilde entfernen will, das
hängt ganz von seinen besonderen Zwecken ab:
der stilisierenden, von der Schattengebung so gut
wie ganz absehenden Behandlung kann er alles,
was seinem Auge begegnet, unterwerfen, die Landschaft
wie die lebenden Wesen, die Erscheinungen
der Luft wie die Stofflichkeit der Erde.
Diesen Bestrebungen ist die moderne Freilichtmalerei
insofern verwandt, als sie gleichfalls von
der Modellierung durch hell und dunkel absieht
und ihre Bilder ganz auf dem Gegensatz der Farben
aufbaut. Darin aber weicht sie von jenen durchaus
ab, dass sie auf eine möglichst täuschende
Wiedergabe des Naturbildes auszugehen sucht.
Um hierbei die Harmonie zu wahren, die in der
Natur durch Licht und Luft herbeigeführt wird,
sieht sie sich genötigt, die erforderliche Ab-
schwächung der Farbe durch ein Geschiebe einzelner
mehr oder weniger greller Farbenpunkte
herbeizuführen. Sind in ihr auch die Schatten
durchaus farbig, so neigt sie in den höchsten Lichtern
zu voller Farblosigkeit, die sich bis zur Kreidigkeit
steigern kann. Die Aufgaben, deren hier genug
noch vorliegen, dürften, wenn die Farbe in dem
erreichbaren Umfange gewahrt werden soll, auf dem
Wege der dekorativen Behandlung zu lösen sein,
also unter teilweisem Verzicht auf das Ideal der
unbedingten Naturwahrheit, ohne dass deshalb irgend
welcher Konventionalismus einzutreten brauchte.
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